Trotz Durststrecken ein total schöner Beruf!
Sabine Rothe Zittau, Präsidentin des Verbandes medizinischer Fachberufe e.V.
Rothe: In den letzten Jahren hat sich der gesamte Praxisablauf, sowohl in Facharzt-als auch Hausarztpraxen, deutlich geändert. In Facharztpraxen haben wir mit immer spezialisierteren Abläufen zu tun, in der Hausarztpraxis ist immer stärker die psychosoziale Komponente gefordert aufgrund der demographischen und soziologischen Entwicklung. Der Beratungsaufwand wird immer höher, die Familienstrukturen haben sich geändert und es muss viel mehr koordiniert werden. Auch auf die häufigen gesetzlichen Änderungen muss immer schneller und mit hohem Wissen reagiert werden.
Was hat sich in der Ausbildung konkret geändert?
Rothe: In den Berufsschulen wird jetzt nicht mehr in einzelnen Fächern, sondern in Lernfeldern unterrichtet. Damit wird die Praxissituation stärker in den Schulunterricht hinein geholt. Die Bereiche werden nicht losgelöst voneinander gesehen, sondern so, wie sie auch in der Praxis im Zusammenhang stehen. Das soll eine größere Handlungskompetenz ermöglichen.
Zudem steht das Lernen des Lernens stärker im Vordergrund. Bei der Komplexität, die gerade auch im ambulanten Bereich auf uns zukommt, ist es nicht damit getan, dass man einmal etwas gelernt hat und dann fit für die Zukunft ist. Die Kolleginnen müssen lernen, ständig Neues aufzunehmen. Außerdem wurde ein neuer inhaltlicher Schwerpunkt auf den Bereich Prävention gesetzt mit Themen wie Gesundheitsvorsorge, Früherkennung von Krankheiten und Gesundheitsförderung. Eine wichtige Rolle spielen außerdem die Bereiche Hygiene, Arbeitsschutz und Notfallmanagement.
Wie sieht derzeit der Arbeitsmarkt für Arzthelferinnen/Medizinische Fachangestellte aus?
Rothe: Wir haben einerseits arbeitslose Kolleginnen, es werden aber auch Kolleginnen gesucht, vor allem im fachärztlichen Bereich und besonders in bestimmten Regionen. Die Crux an dem Ganzen ist, dass es meistens Teilzeitstellen sind. Davon kann eine Mitarbeiterin nicht leben. So haben wir eine hohe Fluktuation aus dem Beruf, zum Teil in andere Felder der Patientenversorgung hinein, z.B. bei Krankenkassen oder Rehazentren, aber auch in nichtmedizinische Bereiche. Uns gehen so im hausärztlichen Bereich derzeit viele gute Kolleginnen verloren. Die massive Umwandlung von Vollzeit- in Teilzeitarbeitsplätzen ist dramatisch für die Frauen!
Und wer macht dann die Arbeit?
Rothe: Oftmals werden die Mitarbeiterinnen zwar für 25 Stunden bezahlt, gehen aber doch 40 Stunden arbeiten. Gerade in Hausarztpraxen ist die Identifikation mit der eigenen Praxis sehr hoch. Das macht ja das besondere, das angenehme Arbeitsverhältnis aus: Ich fühle mich wohl in meiner Praxis. Nur diese Einstellung rettet unser ambulantes Gesundheitswesen – auf der Seite der Ärzte ebenso wie auf der Seite der Mitarbeiterinnen.
Was empfehlen Sie jungen Kolleginnen für den weiteren Berufsweg?
Rothe: Chancen bieten sich zum Beispiel durch Qualifikation in Bereichen, wo die Praxis zusätzlich etwas anbieten kann. Sinnvolle Selbstzahlerleistungen, zum Beispiel Impfberatung, aber auch Beratungsleistungen bei DMPs – auf die Kolleginnen kommt sicher immer mehr zu. Interessant ist auch eine Qualifikation im Bereich Praxismanagement. Zwar gibt es einen Trend zu medizinischen Versorgungszentren, aber im Hausarztbereich, besonders auf dem Land, wird es weiter Einzelpraxen geben, die qualifizierte Mitarbeiterinnen für Management und administrativen Bereich brauchen. Auch die Anforderungen an das Qualitätsmanagement sind eine neue Herausforderung, der man sich stellen muss. Wir bieten viele Fortbildungsmöglichkeiten über unser eigenes Bildungswerk an und arbeiten auch eng mit dem Institut für hausärztliche Fortbildung IhF zusammen.
Wie hat sich das Aufgabenfeld der Arzthelferin im Hausarztbereich verändert?
Rothe: Es gibt heute viel mehr zu koordinieren, und die Kolleginnen übernehmen im Delegationsverfahren immer mehr Aufgaben. Praxisabläufe werden momentan sehr stark optimiert, weil beispielsweise die Zahl der Hausbesuche im ländlichen Bereich immer weiter zunimmt. Da fährt die Mitarbeiterin einige Tage vor dem Hausbesuch ins Pflegeheim zum Blutabnehmen und wenn der Arzt kommt, hat er schon die Ergebnisse vorliegen. So werden immer mehr Leistungen von Mitarbeiterinnen übernommen – in Delegation des Arztes natürlich.
Wie passt das zu mehr Teilzeit- statt Vollzeitstellen?
Rothe: Das ist natürlich eine groteske Situation. Wir haben darüber auch mit den Arztverbänden und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gesprochen. Im Grunde bedeutet das eine Gefährdung der Patientensicherheit, was die Politik durch die derzeitige Gesetzgebung da initiiert: Sie fordert Qualität und bezahlt immer weniger. Dadurch entsteht eine Spirale, dass Kolleginnen in den Praxen immer weniger eingesetzt werden, obwohl die Arbeiten erledigt werden müssen – das bedeutet eine Gefährdung der Patienten.
Was ist für Sie selbst das Spannende an dem Beruf der Arzthelferin/Medizinischen Fachangestellten?
Rothe: Es ist eine so schöne Verquickung zwischen dem medizinischen Wissen und der psychosozialen Komponente. Dazu kommt das Gefühl, gebraucht zu werden, und etwas weitergeben zu können. Jeder Tag ist spannend und eine Herausforderung. Das fordert zwar wahnsinnig viel von mir, aber ich bin das mit Leib und Seele. Gut gehen kann es einem in unserem Beruf auch nur, wenn man das engagiert und mit Leib und Seele tut – auch wenn man durch die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen derzeit viele Durststrecken überwinden muss. Es ist trotzdem ein total schöner Beruf!
Das Interview führte Friederike Klein.
Webtipps
- www.vmf-online.de
Der Verband der medizinischen Fachberufe e.V. im Internet - www.bildungswerk-gesundheit.de
Bildungswerk des Verbandes medizinischer Fachberufe e.V.