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Verhaltenssucht

Wenn Verhalten überläuft

Alles was wir gerne tun und was in Maßen eine Menge Spaß macht und gut für uns ist, wird gefährlich, sobald es exzessiv betrieben wird – auch Sport, Einkauf oder Spiel. Überall dort, wo Menschen Dinge über jedes Maß hinaus tun, ist von Verhaltenssucht die Rede.
© lililu – fotolia.com
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Alkohol, Nikotin und illegale Drogen haben ein deutliches Abhängigkeitspotenzial. Da die Entwicklung einer Abhängigkeit an den Konsum dieser Substanzen gebunden ist, spricht man auch von substanzgebundenen Abhängigkeiten. All diese Substanzen binden sich an Rezeptoren im Gehirn, die über eine Kaskade von Nervenimpulsen eine erhöhte Verfügbarkeit von Botenstoffen wie Dopamin im Belohnungszentrum des Gehirns vermitteln. Da damit positive Gefühle verbunden sind, verspüren Menschen, die von Alkohol, Nikotin oder Drogen abhängig sind, einen starken inneren Drang, für Nachschub zu sorgen. Denn wenn die Substanz nicht in bestimmten Abständen konsumiert wird, fällt der Dopaminspiegel wieder. So entsteht das Bedürfnis, die Substanz erneut zu konsumieren, um wieder in den Zustand von Ruhe und Zufriedenheit versetzt zu werden.

Das Belohnungssystem im Gehirn

Das Belohnungssystem im Gehirn lässt sich aber nicht nur durch den Konsum bestimmter Substanzen stimulieren, sondern auch durch unser eigenes Verhalten. Sie kennen sicher auch Situationen, die Ihnen einen gewissen Kick geben: ein gewonnenes Spiel, ein absolvierter Dauerlauf oder ein neues Paar Schuhe können für kurze Zeit ein Glücksgefühl auslösen. Für manche Menschen kann das aber auch zur ständigen Versuchung werden, sie müssen diese ursprünglich mit positiven Gefühlen assoziierten Handlungen wieder und wieder ausführen. Deshalb werden neben den substanzgebundenen Abhängigkeiten auch eine ganze Reihe von so genannten Verhaltenssüchten diskutiert: Arbeitssucht und Spielsucht, Sexsucht und Sportsucht, Computersucht und Kaufsucht. Kurz gesagt: Alles was wir gerne tun und was in Maßen Spaß macht, kann auch problematisch werden, sobald es exzessiv betrieben wird.

Für die Einordnung dieser nicht stoffgebundenen, süchtigen Verhaltensweisen gibt es, mit Ausnahme der Glücksspielsucht, noch keine eigenen diagnostischen Kategorien. Sie werden bislang unspezifisch unter dem Sammelbegriff Störungen der Impulskontrolle zusammengefasst.

Die Kontrolle verloren

Darunter versteht man Verhaltensweisen, bei denen der Betroffene nicht in der Lage ist, dem Impuls oder der Versuchung zu widerstehen, eine bestimmte Handlung auszuführen. Auch wenn er genau weiß, dass diese Handlung für ihn selbst oder für andere Menschen schädlich ist.

Das entscheidende diagnostische Kriterium liegt dabei im – subjektiv erlebten – Spannungszustand vor der Handlung und in der Entlastung danach. Im Anschluss können Reue, Selbstvorwürfe oder Schuldgefühle auftreten. Eine Suchtforschungsgruppe der Berliner Charité hat die Gehirnaktivitäten von Patienten mit Computerspielsucht untersucht. Sie fand heraus, dass exzessives Computerspielen die gleichen Strukturen im Gehirn aktiviert, wie stoffgebundene Drogen.

Kriterien für Verhaltenssucht

© Marcito – fotolia.com
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Schneller, höher, weiter? Auch Sport kann zur Sucht werden, wenn alle Gedanken nur noch um den nächsten Lauf kreisen.

Wird das Verhalten trotz schädlicher Folgen zunehmend intensiver ausgeübt, kann man durchaus von Sucht sprechen. Das sollte letztendlich auch dazu führen, dass geeignete Behandlungsmaßnahmen aus dem Bereich suchtkranker Patienten angewendet werden. Als deutliche Hinweise auf eine Verhaltenssucht gelten folgende Symptome:

  • Unwiderstehliches Verlangen, das Verhalten ausüben zu wollen.
  • Bei gleich bleibender Häufigkeit und Dauer des Verhaltens bleibt die gewünschte Wirkung aus.
  • Das Verhalten wird zunehmend länger, häufiger und intensiver durchgeführt, um den gewünschten Effekt zu erhalten.
  • Unfähigkeit, das Verhalten auf eine bestimmte Häufigkeit und Dauer zu begrenzen.
  • Vernachlässigung von Familie, Freunden und Hobbys.

Erkenntnis ist schwer

Die Entwicklung vom harmlosen Vergnügen zum süchtigen Verhalten findet meist schleichend statt. Deswegen ist es für Betroffene und Mitmenschen häufig schwer, eine beginnende Sucht zu erkennen. Erst großer Leidensdruck fördert die Einsicht, vielleicht doch etwas verändern zu müssen. Die psychosoziale Behandlung ähnelt dabei der bei stoffgebundenen Abhängigkeiten. In der Therapie geht es um Krankheitseinsicht, Veränderungsmotivation und letztlich um eine Verhaltensänderung.

Da Suchterkrankungen oft mit anderen psychischen Erkrankungen einhergehen, muss gegebenenfalls auch eine Therapie dieser Erkrankungen erfolgen. Bei Kindern und Jugendlichen mit einer Verhaltenssucht sollten idealerweise auch die Eltern in die Behandlung eingebunden werden. Neben Ärzten und Psychotherapeuten bieten auch Suchtberatungsstellen ein breites Spektrum unterschiedlichster Hilfs-, Beratungs- und Behandlungsangebote für Betroffene und Rat suchende Angehörige. Ihre Hausarztpraxis kann Hilfesuchende durch die Vermittlung der Kontaktdaten entsprechender regionaler Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen unterstützen.

Eine anonyme und kostenlose telefonische Beratung für Betroffene und Angehörige bietet unter anderem das Kompetenzzentrum Verhaltenssucht der Universität Mainz an.


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Eltern sollten wissen, was der Nachwuchs am PC oder der Playstation treibt. Bei Jugendlichen sind aktuell Online-Rollenspiele der Renner.

Kinder und Medien – nicht alles ist gleich Spielsucht

Kinder entwickeln früh ein Interesse an modernen Medien: Computer, Handy, Fernsehen – meist signalisieren die Kids von heute bereits im Kindergartenalter ihre Neugier für die bunte Welt technischer Innovationen. Und Eltern stellen sich die berechtigte Frage: Wie viel Medienkonsum ist erlaubt? Wissenschaftler meinen dazu: Es macht wenig Sinn, Kindern diese Medien vorzuenthalten, da sie für schulische Aufgaben, als Kommunikationsinstrument und als umfassende Informationsquelle kaum verzichtbar sind. Eltern sollten jedoch darauf achten, dass ihre Kinder auch andere Freizeitaktivitäten pflegen, sich ausreichend bewegen und persönliche soziale Kontakte pflegen.

Kinder und Jugendliche, die viel Zeit am Computer verbringen, sind nicht zwangsläufig computersüchtig. Hinweise auf ein süchtiges Verhalten sind ein Anstieg der Spielzeiten und ein damit verbundener Kontrollverlust, die zunehmende Vernachlässigung anderer Aktivitäten sowie das fortgesetzte exzessive Spielen trotz negativer Folgen, wie schulische Leistungseinbußen. Ein Test, der Eltern hilft, das Verhalten ihrer Kinder zu beurteilen, findet sich bei www.verhaltenssucht.de, Navigationspunkt Computerspielsucht.