Das Magazin für Medizinische Fachangestellte

Als MFA zwischen Sachzwang und Begeisterung

Hast du alles getan?
Wenn nicht, fang an!

In den Diskussionen zur Zukunft der Versorgung dienen MFA vor allem der Entlastung der Ärzte. Da stellt sich die Frage: Sind wir ein notwendiges Anhängsel, das jene Aufgaben erfüllt, für die Ärztin oder Arzt keine Zeit haben? Oder geht es auch um ein eigenes professionelles Berufsverständnis? Über Rollen und persönlichen Aufbruch sprachen wir mit der MFA und Studienassistentin Iris Schluckebier.
© tom – fotolia.com
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Frau Schluckebier, kennen Sie den Song Wir sind am Leben von Rosenstolz?

Ja, klar!

Ich würde den Songtext gerne als Leitfaden für unser Interview über den Beruf der Medizinischen Fachangestellten nehmen. Sind Sie einverstanden?

Okay, ein Experiment.

Hast du alles probiert?
Hast du alles versucht?

Ja, ab meinem 30. Geburtstag, das war mein zwölftes Berufsjahr. Zu dem Zeitpunkt damals hatte ich das Gefühl, auf der Stelle zu treten. Ich dachte, ich hätte so ziemlich alles gelernt, sah kein Weiterkommen mehr und wurde unzufrieden.

Hast du alles getan?
Wenn nicht, fang an!

Ich kann nur tun, was in meiner Macht steht. Ich wollte aus Neugierde und Spaß am Beruf immer mehr als das, was im Moment ist. Mehr als den normalen Alltag. Das begann mit den Patientenschulungen, dann kam die Tätigkeit an der Uni und im Bereich QM, dann die Referententätigkeit und so ging es weiter.

Hast du wirklich gelebt?
Hat deine Welt sich wirklich gedreht?

Ich gebe Seminare für MFA, halte Vorträge, schreibe Artikel, arbeite in der Praxis und an der Uni. Meine Welt wird von meinem Terminkalender bewegt.

Was willst du sagen?

Es tut sich ständig viel Neues. Deshalb sollte man aber nicht jammern, sondern die Dinge aufgreifen. Qualitätsmanagement zum Beispiel wurde als Controlling verkauft und bekam einen sehr negativen Ruf. Dabei soll es hinterfragen und vor falscher Routine schützen und unterstützen. Es reicht nicht, irgendwen zu bestimmen und damit zu beauftragen. Es muss als etwas gesehen werden, was den Beruf weiterentwickelt und den Praxisalltag auch interessant macht.

Wen willst du fragen?

Manchmal meinen Bauch, aber natürlich hole ich mir auch Rat vom Praxisteam, meinem Lebensgefährten oder meinem Uniteam.

Was willst du erleben?

Ich brauche Abwechslung und Steigerungsmöglichkeiten. Erleben möchte ich vor allem, dass meine Patienten gut versorgt sind und ich genügend Zeit für sie habe. Richtig gute Versorgung kostet einfach Zeit.

Und was willst du geben?

Mein Wissen, meine Erfahrung.

Wer gibt dir den Frieden?

Beruf und Privatleben im Gleichgewicht. Es gab eine Zeit, da habe ich mich fast nur auf die Arbeit gestürzt.

Und was ist liegen geblieben?

Urlaube. Ich habe sie immerhin gegen Kurztrips eingetauscht.

Ich kann deinen Herzschlag hören
Keiner wird dich zerstören
Du bist am Leben
Du bist am Leben

Der Patient ist der Herzschlag einer Praxis, nicht die Ordner und Handbücher. Wir machen DMP, QM, Hausarztverträge und, und, und ... Plötzlich fragt die Kollegin: Kannst Du mal den Patienten nehmen ... Ach, der ist ja auch noch da. Ich finde zum Beispiel, dass Smalltalk gut ist, weil der Patient manchmal von versteckten Sorgen oder Problemen erzählt. Gerade diese Minuten sind gut investierte Zeit. Da denke ich nicht: Ach, hast Du wieder gequatscht.

Weil dein Herz noch Feuer fängt
Weil dein Herz die Liebe kennt
Du bist am Leben

Das Herz einer MFA? Das ist ständig gefragt. Beim kleinsten Wehwehchen bis zu den schlimmen Fällen unterstützt die MFA den Patienten. Darüber hinaus ist sie als loyale Mitarbeiterin des Arztes gefragt und natürlich als kollegiale Partnerin.

An was willst du glauben
oder glaubst du an dich?

Nur wenn ich an mich selber glauben kann, werde ich dem Beruf auch gerecht.

Wie oft wirst du betrogen?
Wie oft belügst du dich?

Das kann man wie die Frage eben nicht nur auf den MFA-Beruf beziehen. Man kann sich in jedem Beruf etwas vormachen. Es gibt die Vormacher und die Realisten. Es kommt auch immer auf den Lebensabschnitt, den Zeitgeist und das eigene Alter an.

Wie viele Türen wirst du öffnen?

Mit den neuen Herausforderungen in der Patientenversorgung entwickelt sich die MFA von der Sprechstundenhilfe zur Versorgungsassistentin. Dadurch gewinnen die MFA zunehmend an Kompetenz, von der Ärzte und Patienten profitieren. Es ist gut zu sehen, wie sich die delegationsfähigen Leistungen über die neuen Fortbildungen weiter entwickeln, doch sollten wir hierfür auch mehr Wertschätzung und eine Finanzierung erhalten.

Diese Türen können wir aber nicht alleine öffnen. Mein Chef hat mir vor zwölf Jahren eine Tür geöffnet, indem er mich mit guter Fortbildung gefördert und meine Interessen gestärkt hat. Eben nicht nur eine Lehrpraxis auf dem Schild, sondern wirklich an Wissensförderung interessiert.

Welches Schloss knackst du nie?

Das der Abrechnung. Den EBM. Viele Ausschlusskriterien machen in der Praxis keinen Sinn. Und die Pauschalierung der Vergütung.

Wie oft kannst du widerstehen und wann
gehst du in die Knie?

Ignoranz und Undankbarkeit können mich schon runterziehen. Auch in meinen Kommunikationskursen oder im Praxisalltag gibt es hin und wieder Situationen, wo ich mich im Nachhinein über den einen oder anderen Satz ärgere.

Warum wirst du weinen
und wie oft bleibst du stumm?

Weinen könnte ich über die Diskrepanz im Engagement bei den Kolleginnen. Niemand sollte einen Beruf ergreifen, weil man mittwochnachmittags frei hat und Fortbildungen sollten nicht vorrangig besucht werden, weil man die Stadt interessant findet. Es braucht schon die Überzeugung, dass ich etwas lernen will. Auf der anderen Seite gibt es unglaublich engagierte Kolleginnen, die so viel leisten. Schlimm finde ich auch zickiges Verhalten in einigen Praxen: Am Patienten darf man seine schlechte Laune nicht auslassen, dem Chef gegenüber sollte man es nicht tun, da bleibt im Praxisteam dann häufig nur die Kollegin. Das ist traurig.

Und für wen wirst du beten,
weißt du wirklich warum?

Beten? Ich nehme das jetzt mal nicht im religiösen Sinn. Ich hoffe auf mehr Wertschätzung, Teamorientierung und auch Honorar. Der Arzt muss Chef bleiben, aber in vielen Praxen ist die Fallhöhe doch gewaltig. Oft heißt es Das Praxisteam und der Arzt. Unter Praxisteam verstehe ich aber den Arzt plus die MFA.

Und bei wem wirst du schlafen
und vor wem rennst du weg?

Im übertragenen Sinn gedacht freue ich mich über Patienten, denen ich helfen kann. Dann gibt es natürlich noch den Berufsverband, der mich unterstützt. Für mich ist aber auch die Haltung meines Chefs und der Kolleginnen enorm wichtig, die mich bei meinem Weiterkommen aktiv unterstützen.

Und hast du dich verlaufen,
ich bin da, bring dich nach Haus

Verrennen kann ich mich in zu viel Engagement. Auch mit einem Helfersyndrom stößt man an Grenzen. Wer bringt mich persönlich nach Haus? Das gerade gebaute Haus, der Dreiklang zwischen Praxis- und Uniteam sowie ein harmonisches Privatleben und Freizeit.

Wir sind am Leben!

Das Interview führte Sonja Laag

Zur Person


Iris Schluckebier (41), ist seit 1990 Medizinische Fachangestellte, heute leitende MFA in einer allgemeinmedizinischen und fachärztlichen Hausarztpraxis in Kamen. Seit Jahren ist sie in vielen Projekten tätig, die sich mit der zukünftigen Rolle von MFA in der Versorgungslandschaft befassen:

  • Seit 2004 Leiterin des 1. Qualitätszirkels für MFA an der Universität Witten / Herdecke.
  • Seit 2007 Studienassistentin im Team Allgemeinmedizin und Familienmedizin der Universität Witten / Herdecke und Sprecherin der Arbeitsgruppe WiForMFA (Wissenschaft und Forschung für MFA)
  • 2008 Mitarbeit in der Leitlinienimplementierungsstudie Asthma (L.I.S.A.)
  • 2009 Mitarbeit im Projekt ZuVerSicht – die Zukunft der hausärztlichen Versorgung aus gesundheitsberuflicher und Patientensicht
  • Seit 2011 EVA (Entlastende Versorgungsassistentin)