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Diabetisches Fußsyndrom – Tipps für die Praxis

Lasst Füße sprechen

Die medizinischen Probleme rund um das diabetische Fußsyndrom (DFS) sind längst geklärt. Trotzdem nimmt die Zahl der Amputationen zu. Kommen die Betroffenen zu spät zum Arzt? Unterschätzen Ärzte die Lage? Wenn Füße reden könnten ...
© Barbara-Maria Damran – fotolia.com
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Überhöhte Blutzuckerwerte können über unterschiedliche Mechanismen den Stoffwechsel in den Nerven und den Gefäßen beeinträchtigen. An den Innenwänden der kleinen Blutgefäße entstehen Ablagerungen, die zu Durchblutungsstörungen führen können. Gefühlsstörungen, Kribbeln und Schmerzen an den Zehen sind für Patienten oft erste Warnsignale, die leider allzu oft ignoriert werden.

Durch die Schädigung des Nervensystems (Polyneuropathie) nimmt auch die Schweißproduktion ab und die Hautgefäße sind erweitert. In der Folge trocknet die Haut an den Füßen aus und wird rissig. Diese diabetischen Füße sind warm, rot und trocken. Berührungen, Druck, Temperatur und Verletzungen werden schlechter wahrgenommen. Das führt dann mitunter dazu, dass aus einer eher harmlosen Wunde eine dauerhaft offene Stelle, ein so genannter Ulkus entstehen kann.

Häufig liegen Nervenstörungen und Durchblutungsstörungen gleichzeitig vor. Wenn die Füße nicht ausreichend durchblutet werden, fehlt dem Gewebe Sauerstoff und Nahrung. Dadurch kann es zu starken Veränderungen an den Zehen oder anderen Teilen des Fußes kommen. Im Extremfall stirbt Gewebe ab (trockene Gangrän) oder es kommt zu Infektionen, die sich ohne richtige Behandlung auf Knochen und angrenzende Teile des Fußes oder Beins ausweiten. Eine Amputation lässt sich gerade bei infizierter (feuchter) Gangrän oft kaum noch vermeiden.

Eigentlich sind sich alle einig: Mit den richtigen Maßnahmen – die wir in den beiden Kästen auf Seite 9 noch einmal zusammengefasst haben – ließe sich die Rate der Amputationen bei Patienten mit diabetesbedingter sensibler Polyneuropathie drastisch senken, wenn nicht vollkommen verhindern. Aber die Realität sieht leider anders aus.

Kein Interesse an den Füßen

Eine wesentliche Ursache: Die Patienten interessieren sich offenbar nicht für ihre Füße, sind auch bei schwersten Verletzungen gut gelaunt und reagieren mit Unverständnis gegenüber dem therapeutischen Wirbel. Die Schädigung der Nerven führt zum Verlust der so wichtigen Schmerzempfindung und so zur fehlenden Ruhigstellung und Schonung. Vor allem aber führt die Nervenschädigung zum kompletten Verlust der Wahrnehmung der eigenen Füße oder Beine – mit weitreichenden Konsequenzen für die gesamte Persönlichkeit des Patienten.

Man könnte von einer inneren Amputation sprechen. Die Betroffenen empfinden ihre Füße und Beine nicht mehr als Teile ihres Körpers, sondern eher als Teile ihrer Umgebung. Dadurch geht ihnen auch die spontane Sorge um ihre Füße verloren, eine schmerzlose Wunde an einem nicht gefühlten Fuß wird als unwichtig eingeordnet. So besteht auch kein dringender Handlungsbedarf.

Tipps für Patienten

Diese Ratschläge an Patienten sind ebenso banal wie effektiv:

  • Jeden Tag die Füße gründlich anschauen und auf Veränderungen untersuchen.
  • Schuhe passend und ohne störende Innennähte kaufen – am besten nachmittags oder abends.
  • Nicht barfuß laufen.
  • Keine scharfen Gegenstände zur Nagelpflege benutzen.

Leitlinien für Ärzte

Die Leitlinien für die Betreuung von Patienten mit diabetischem Fußsyndrom umfassen die folgenden Aufgaben:

  • Füße der Patienten regelmäßig untersuchen.
  • Stimmgabel und Monofilament benutzen, Fußpulse tasten.
  • Bei Neuropathie auf entsprechendes Schuhwerk achten (konfektionierter diabetischer Schutzschuh, ggf. stadiengerechte orthopädie-technische Versorgung.
  • Bei Verletzungen: Druckentlastung, immer Antibiotikatherapie, lokale Wundversorgung durchführen.
  • Bei Vorliegen von Durchblutungsstörungen: Vorstellung beim Facharzt für Innere Medizin und Angiologie / diabetische Fußambulanz.

Leibesinselschwund

Das macht verständlich, dass Patienten trotz sichtbarer, ausgedehnter Verletzungen immer wieder zu spät in die Praxis kommen. Das tun sie nicht, um Arzt bzw. Ärztin und Praxisteam zu ärgern, sondern sie schätzen die für uns so offensichtlich bedrohliche Verletzung als überhaupt nicht bedrohlich ein. So wie viele von uns mit einem defekten Auto umgehen: Wenn wir das Auto zur Reparatur bringen, ist es aus Sicht der Werkstatt mitunter schon zu spät. Bei der sensiblen Polyneuropathie ist es nur komplexer, sie verändert den Menschen in seiner gesamten leiblichen Integrität. Man nennt die Ursache Leibesinselschwund. Dieser der Anthropologie entlehnte Begriff meint unter anderem den Sensibilitätsverlust: Der Fuß ist am weitesten entfernt vom Hirn, wird nicht mehr wahrgenommen und somit vernachlässigt.

Um Patienten mit einer diabetischen Polyneuropathie und hohem Risiko für das Auftreten eines DFS in der Hausarztpraxis herauszufiltern, ist eine – wie im DMP vorgeschriebene – regelmäßige, mindestens jährliche Untersuchung der Füße jedes Patienten mit Diabetes notwendig.

Die Durchführung der Untersuchung und darauffolgenden Dokumentation ist im DMP-Handbuch beschrieben. Allerdings werden die Füße der Patienten in Deutschland zu selten untersucht. Eine Ursache dafür liegt möglicherweise darin, dass die Untersuchung als zu zeitaufwendig gilt. Wichtig ist es, die Fußuntersuchung zu planen und systematisch vorzugehen. Eine entsprechende Logistik in der Praxis kann helfen, den Zeitaufwand zu verringern:

  • Untersuchung ankündigen
  • Untersuchung idealerweise im Sommer durchführen
  • Patienten zusammen einbestellen

Hier noch einige Tipps, die auf ein vom Patienten noch unbemerktes akutes Fußsyndrom (mit Wunde) hinweisen können:

  • unerklärlich hohe Blutzuckerwerte
  • plötzlich erhöhter Insulinbedarf
  • Müdigkeit und schnelle Erschöpfung

Sollte einer Ihrer Patienten solche Symptome zeigen, kann eine Fußuntersuchung helfen, das Problem einzugrenzen. Fieber, Schüttelfrost und Laborveränderungen treten häufig erst zu spät auf.

Eine detaillierte Fußuntersuchung in der Praxis gibt wertvolle Hinweise über den Zustand der Füße. Sie sollte im Rahmen des DMP Diabetes mindestens einmal im Jahr durchgeführt werden, in Risikofällen auch öfter. Zur routinemäßigen Fußuntersuchung gehören auch die Vibrationsuntersuchung mit der kalibrierten Stimmgabel und ein Test auf Berührungssensibilität der Fußsohle.

Webtipps

Umfangreiche weitere Informationen finden Sie unter:

Dr. Kristina Pralle; Diabetologin

 Klaus Rose, Imago, Wörwag Pharma
Klaus Rose, Imago, Wörwag Pharma
Eine detaillierte Fußuntersuchung in der Praxis gibt wertvolle Hinweise über den Zustand der Füße. Sie sollte im Rahmen des DMP Diabetes mindestens einmal im Jahr durchgeführt werden, in Risikofällen auch öfter. Zur routinemäßigen Fußuntersuchung gehören auch die Vibrationsuntersuchung mit der kalibrierten Stimmgabel und ein Test auf Berührungssensibilität der Fußsohle.