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Umgang mit Zwischenfällen in der Praxis

Fehlerfinder

Wenn in einer Hausarztpraxis Zwischenfälle passieren, kann das Patienten, ihre Angehörigen und das Team gleichermaßen belasten. Daher kommt dem offenen Umgang mit solchen Zwischenfällen und der zeitgerechten und angemessenen Kommunikation eine entscheidende Bedeutung zu.
© Foto-Ruhrgebiet – fotolia.com
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Patienten sind durch ihre Erkrankung meist ohnehin schon verletzlich und besorgt. Und dann passiert noch ein Zwischenfall in der Praxis oder in der Klinik. Manchmal können die Folgen fatal sein; ein Patient stirbt, weil eine Laboruntersuchung nicht rechtzeitig gemacht worden ist. In einem anderen Fall erfolgt nur eine Impfung zu viel.

Doch was liegt innerhalb der therapeutischen Bandbreite und was ist ein Zwischenfall? Definiert sind Zwischenfälle als unerwünschte Ereignisse (engl. adverse events) im Zusammenhang mit einer medizinischen oder pflegerischen Versorgung, die vermeidbar sind. Auch fehlerbedingte Beinaheschäden (engl. near misses) gelten als Zwischenfälle. Erreicht dagegen eine geplante Behandlung nicht das gewünschte Ziel, ist es auch kein Zwischenfall.

Eine von der Zeitschrift Lancet publizierte Befragung von Patienten, die einen Rechtsbeistand wegen eines medizinischen Zwischenfalls aufgesucht hatten, brachte einige interessante Ergebnisse. Zum Beispiel, dass Patienten mit Schäden nach chirurgischen Eingriffen und anschließend unprofessioneller Kommunikation mehr Stress erlebten als Unfallopfer oder sogar Verwitwete. Wichtiger als der Wunsch nach materiellem Schadensersatz war den Befragten, dass aus dem Vorfall gelernt wird und nicht das Gleiche wieder passiert.

Viele Erfahrungsberichte belegen, dass ein unprofessioneller Umgang mit Zwischenfällen und der damit verbundene Vertrauensverlust in das Behandlungsteam Patienten zusätzlich zur körperlichen Beeinträchtigung auch psychisch traumatisieren können. Unzureichende Informationen gehören dabei zu den am häufigsten beklagten Defiziten.

Die Pflichten der Praxis gegenüber dem Patienten sind dabei wie folgt:

  • Der Patient ist vor drohenden Schäden zu bewahren (Pflicht zur Behandlung).
  • Der Patient muss über einen Zwischenfall mit Schaden informiert werden, wenn eine Folgebehandlung erforderlich ist (Pflicht zur Information, Aufklärung). Das umfasst die Darstellung des Zwischenfalls und den möglichen Umfang des Schadens, inklusive absehbarer Folgen.
  • Der Patient sollte und darf über einen Zwischenfall auch dann informiert werden, wenn eine Folgebehandlung nicht erforderlich ist.
Grafik: Katharina Merz
Grafik: Katharina Merz
Prozesse helfen fast immer in der Praxis – auch bei der Aufarbeitung von Fehlern. Nach Taylor, Adams und Vincent: Systems Analysis of Clinical Incidents: The London Protocol, 2004

Um es klar zu sagen: Fehler können in jeder Praxis passieren. Wichtig ist es, dann offen damit umzugehen. Unabhängig davon, wer im Team den Fehler verschuldet hat, sollte immer der Arzt oder die Ärztin über den Vorfall aufklären. Dabei wird man sicher erklären, was geschehen ist und sein Bedauern und Mitgefühl ausdrücken, sich ggf. entschuldigen. Das ist rechtlich noch kein Eingeständnis und hat somit auch noch keine Konsequenzen wie eine Haftungsübernahme.

Patienten sollten so zeitnah wie möglich über ein unerwünschtes Ereignis informiert werden. Es stärkt in solchen Fällen auch das möglicherweise angekratzte Vertrauen des Patienten und seiner Angehörigen, wenn man aktiv externe Institutionen benennt, die bei der Aufklärung eines Behandlungsfehlervorwurfs einbezogen werden können.

In der Regel möchten die Betroffenen bei fehlerbedingten Schäden erfahren, was die Praxis künftig unternehmen wird, um ähnliche Fälle zu vermeiden. Kommunizieren Sie deshalb die Ergebnisse und die damit beschlossenen Maßnahmen an die Beteiligten. Sie zeigen damit, dass das Team aus dem Problem gelernt hat.

Intern sollte über jeden erkannten Zwischenfall umgehend gesprochen werden. Die beste Gelegenheit ist sicher die nächste Teambesprechung, aber die ist vielleicht erst in zwei Wochen. Dann macht es mehr Sinn, bei den Übergaben für die nächste Schicht schon einmal die wichtigsten Punkte und Besonderheiten festzuhalten:

  • Was ist genau passiert?
  • Welche Folgen hatte das Ereignis?
  • Was hat zu dem Ereignis geführt bzw. beigetragen?

Manche Zwischenfälle sind auf Praxisbesonderheiten zurückzuführen, andere wiederum können in jeder Praxis in gleicher Weise auftreten. Dann macht es Sinn, sie nicht nur intern zu besprechen, sondern auch anonym auf einem Fehlerberichtssystem zu veröffentlichen (siehe Webtipp). So können Sie dazu beitragen, das Fehlermanagement zu optimieren.

Das zweite Opfer

Ärzte oder MFA, die an unerwünschten Ereignissen beteiligt waren, sind in gewisser Weise zweite Opfer nach dem Patienten. Selbstzweifel, Angst und Schuldgefühle bis hin zur Depression können daraus entstehen. Auch sie müssen betreut werden, brauchen kollegiale Unterstützung und ggf. psychologischen Beistand. Das erfordert Zeit und eine Atmosphäre, in der alle Beteiligten ihre Meinung äußern und aktiv an der Aufklärung des Zwischenfalls mitarbeiten. Wichtig ist dabei auch immer die Teamperspektive. Sprechen Sie über Probleme, nicht über Personen. Die Frage sollte lauten: Was ist das Problem und wie können wir es lösen?

Denjenigen, denen individuelle Fehler am Ende einer Fehlerkette unterlaufen, ist oft selbst nicht bewusst, dass Systemprobleme für den Zwischenfall mit ursächlich sind. Umso wichtiger ist es, im Rahmen der Fehleranalyse zielgenau Schwachpunkte in Arbeitsabläufen zu identifizieren und zu verbessern. Das sollte ein eigener Punkt beim Qualitätsmanagement sein, die Abbildung auf dieser Seite gibt einen guten Überblick zu den einzelnen Schritten.


MFA haben eigene Sicht


Tatjana Blazejewski betreut am Institut für Allgemeinmedizin der Uni Frankfurt das Fehlermeldesystem Jeder Fehler zählt.

Ihr Institut betreibt seit vielen Jahren das Frankfurter Fehlerberichts- und Lernsystem. Was war der Anlass für die Gründung?

Eine internationale Studie über medizinische Fehler in der hausärztlichen Versorgung (2003, Primary Care International Study of Medical Errors – PCISME) war der Anfang. Im September 2004 ging dann www.jeder-fehler-zaehlt.de an den Start. Der Grundgedanke war und ist: Man muss nicht jeden Fehler selbst machen, um daraus zu lernen.

Wie können MFA zur Fehlerkultur beitragen?

MFA haben ihre eigene berufsspezifische Perspektive, mehr auf Prozesse und Strukturen in der Praxis gerichtet. Und in diesen Bereich fallen ca. 2/3 aller gemeldeten Ereignisse. Durch ihre Tätigkeit haben MFA einen exzellenten Einblick in Praxisabläufe, daher gilt es deren Wissen und Erfahrungen zu nutzen.

Wann sollte in einer Hausarztpraxis über Fehler gesprochen werden?

Immer. Nicht erst wenn es passiert ist. Das Reden über einen Fehler allein verhindert noch nicht unbedingt dessen Wiederholung, schärft aber den Blick auf mögliche Fehlerquellen.

Welche Faktoren können tatsächlich verbessert werden und wie?

Feste Prozesse helfen immer, Fehler zu vermeiden. Je weniger Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung bei der Durchführung einer Aufgabe gefordert ist, desto weniger Fehler werden dabei gemacht. Gedruckte oder elektronische Checklisten können das unterstützen. Die Verbesserung der Kommunikation ist dabei oft entscheidend.


Webtipp