Das Magazin für Medizinische Fachangestellte

Wenn Kolleginnen in Rente gehen

Generationenstaffel

Gut ist, was funktioniert. Eine alte Regel, die sich vor allem dann bewähren muss, wenn eine erfahrene Mitarbeiterin die Praxis verlässt, in den wohlverdienten Ruhestand geht und ihre langjährige Erfahrung und geballte Kompetenz mitnimmt. Unser Beitrag zeigt, wie diese Übergabe reibungslos funktionieren kann.
© AirOne – fotolia.com
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Wie große Firmen und Behörden stehen auch viele Hausarztpraxen in den nächsten Jahren vor einem Umbruch, wenn sich ältere Mitarbeiterinnen nach dreißig oder mehr Jahren in der Praxis in den wohlverdienten Ruhestand verabschieden. Viele dieser Mitarbeiterinnen verfügen über besonderes Wissen oder Erfahrungswerte, die unwiederbringlich verloren gehen, wenn man nicht rechtzeitig gegensteuert.

Ziel eines Wissens- und Erfahrungstransfers ist es daher, solches Wissen in der Praxis zu halten und den jüngeren Kollegen zugänglich zu machen. Neben dem expliziten Wissen, das abgefragt und schriftlich festgehalten werden kann, geht es hier insbesondere um das implizite Wissen der Mitarbeiterin. Implizites Wissen bedeutet, vereinfacht ausgedrückt, etwas zu können, ohne sagen zu können, wie. Ein gutes Beispiel dafür ist Fahrradfahren. Um das Fahrradfahren zu beschreiben, müsste man über Neigungswinkel, Geschwindigkeit, Kreiselgesetze und Lenkeinschlag reden. Tut aber keiner. Wer es einmal gelernt hat, kann es einfach.

Dieses verdeckte Wissen ist nicht nur besonders wichtig, es ist auch deutlich umfassender als das explizite Wissen. Das gilt auch für eine Hausarztpraxis. Langjährige Praxismitarbeiterinnen haben – neben der klassischen Dokumentation in Form von Checklisten und Arbeitsanweisungen – sehr viel implizites Wissen gesammelt – auf ihrer eigenen Festplatte im Gehirn. Bei diesen wertvollen Erfahrungen handelt es sich oft um die ungeschriebenen Regeln im Umgang mit den Kolleginnen, der Praxisleitung und den Patienten. Im Regelfall scheidet man ohne Streit aus dem Arbeitsleben in der Praxis aus und hat dann auch ein persönliches Interesse daran, dass die Arbeit professionell und kompetent weiterläuft wie bisher.

Schritt 1: Der Arbeitsplan

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Nach dem Eisberg-Modell ist der größte Teil des Wissens eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin nirgendwo dokumentiert. Es ist implizites Wissen.

Wo finde ich was? ist die scheinbar banale Frage, mit der sich eine neue Praxismitarbeiterin konfrontiert sieht. Ein Arbeitsplan für die Neue, aber auch für Teilzeitkräfte und Mutterschafts-Vertretungen mildert diese Unwissenheit erheblich. Darin stehen ganz schlichte Dinge, etwa dass am Ende der Sprechstunde alle Daten noch einmal zu sichern sind oder dass mittwochs der Wechsel der Zeitschriften (Lesezirkel) im Wartezimmer erfolgt und kontrolliert werden muss. Übergabe-Termine sollten langfristig vorbereitet werden.

Klar ist, je komplexer die Arbeitsaufgaben der ausscheidenden Teamkollegin ist, desto schwieriger kann sich die Übergabe gestalten. Soll jemand nur in einem einzelnen Arbeitsfeld eingesetzt werden, geht es schneller als bei der Einarbeitung einer Mitarbeiterin, die Leitungs- und Koordinierungsfunktionen übernehmen soll. Idealerweise wird die Übergabe vorbereitet, bevor die Nachfolgerin die Stelle antritt.

Wie einfach eine ausscheidende Teamkollegin dem verbleibenden Mitarbeiterstamm der Praxis nützlich sein kann, zeigen die Bilder unten. Hier hat in einer großen Praxis die Kollegin, die in Ruhestand gegangen ist, die Vorbereitungen für alle ambulanten operativen Eingriffe mit Foto-Dokumentation festgehalten. So konnten die MFAs, die nunmehr assistierten, alles präoperativ auf dem gleichen Qualitätsstandard vorbereiten. Und die Dokumentation mit Fotos hat in diesem Fall viele umständliche schriftliche Erklärungen überflüssig gemacht.


Quelle: Praxis Dr. Schulze, Bad Kreuznach
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: Diese Weisheit kann man sich auch für die Dokumentation von Abläufen zunutze machen.

Schritt 2: Das QM-Handbuch

Die Summe aller Arbeitspläne, Checklisten und Anweisungen ist ein Qualitätsmanagement-Handbuch. Und ein gutes QM-Handbuch zu hinterlassen, ist eine hohe Kunst. Doch es hilft nicht nur neuen Kolleginnen, sich relativ rasch in neue Verantwortlichkeitsbereiche einzulesen. Eine kluge Lösung ist es auch, die Kollegin, die in Ruhestand geht, zu bitten, eine Übergabevisite in der Praxis durchzuführen. Dabei werden – mithilfe des QM-Handbuches – die einzelnen Funktionsbereiche noch einmal systematisch abgeglichen und sichergestellt, dass die in Zukunft jeweils verantwortliche MFA genau weiß, was von ihr konkret erwartet wird. Die Sorgfalt liegt im Detail, lautet ein wichtiger Grundsatz im Qualitätsmanagement. Und deshalb zeichnet jede Praxismitarbeiterin ein solches Übergabe-Protokoll auch mit ihrem persönlichen Namenszeichen ab. Damit lässt sich der Stab zumindest beim expliziten Wissen zuverlässig übergeben.

Schritt 3: Ein positives Umfeld

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Übergabe-Protokolle mit persönlichem Namens- oder Handzeichen stellen sicher, dass die Informationen wirklich weitergegeben wurden.

Der Rest des Teams und die Praxisleitung müssen aktiv mithelfen, den Übergang auch für das implizite Wissen zu meistern. Beim anstehenden Übergang geht es um Menschen, und dabei sind immer auch Empfindlichkeiten, Gefühle und Bedürfnisse, alte Gewohnheiten und Beziehungsgeflechte mit im Spiel. Nicht jede ältere Kollegin lässt so einfach ihr ganzes Wissen und ihre umfangreiche Erfahrung zurück. Aber wenn es dem Praxisteam gelingt, der ausscheidenden Mitarbeiterin zu zeigen, dass man ihre Arbeit wertschätzt und dass man auch in Zukunft gerne auf dieses Wissen bauen möchte, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Mitarbeiterin den Prozess nach Kräften unterstützt.

Auf der anderen Seite ist eine Übergabe immer auch eine Chance für Neues; eine gute Gelegenheit, etwas anders zu gestalten und Prozesse zum Besseren zu verändern. Dabei darf und soll beim Wechsel aber auch die Tradition der Abläufe, die sich bewährt haben, nicht aus dem Blick geraten. Je mehr alte und neue Mitarbeiterinnen zusammen in die Gestaltung eines Prozesses eingebunden sind, desto höher ist die Erfolgswahrscheinlichkeit. Für die Praxis sollte es letztlich das Ziel sein, möglichst viel implizites Erfahrungs- und Fachwissen einer Mitarbeiterin in explizites Wissen zu überführen – auf Papier bzw. in der EDV gespeichert. Nur so kann es dauerhaft erhalten bleiben.

Jeder Übergang kostet Zeit, Nerven und Geld – egal, wie gut und professionell man ihn auch vorbereitet. Mit QM hat man dafür eine unverzichtbare Navigationshilfe.

Portrait

Die Autorin

Theresia Wölker
ist Beraterin und Fachreferentin im Gesundheitswesen, Dipl.-Krankenschwester und zertifizierte Yogalehrerin. Als Buchautorin und Kolumnistin der Ärzte-Zeitung ist sie Mitautorin des Arbeitshandbuch Qualitätsmanagement.
2. Auflage 2012 mit CD-ROM, ISBN 978-3-642-21788-3, 89,90 €.