Das Magazin für Medizinische Fachangestellte

Patientenfreundlichkeit und Selbsthilfe

Der Patient im Mittelpunkt

Selbsthilfegruppen leisten einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität chronisch kranker und behinderter Menschen. Viele Einrichtungen arbeiten daher seit Jahren eng mit der Selbsthilfe zusammen – besonders Hausarztpraxen können davon profitieren.
© fotomek – fotolia.com
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Seit Jahren wächst der Stellenwert des Erfahrungswissens von Patienten für die Behandlung und Bewältigung von Krankheiten und dauerhaften Beeinträchtigungen. Auch Sie als Praxisteam können davon erheblich profitieren. Es lohnt sich der Selbsthilfe einen festen Platz im Praxisalltag zu geben. Wie dies fruchtbar und gleichzeitig ressourcenschonend gelingen kann, beschreibt das Konzept der Selbsthilfefreundlichkeit. Mit einer Vielzahl an konkreten Ideen und Impulsen ist es eine Anleitung für ein partnerschaftliches Miteinander.

Mit der Selbsthilfe kooperieren

In der Selbsthilfe aktive Menschen reflektieren ihre Therapie und den Krankheitsweg in der Regel mit einem gesunden Abstand zur eigenen Behandlung. In den Selbsthilfegruppen fördern sie so einen erweiterten Blick auf die Erkrankung als sinngebenden Teil des Lebens, den es zu bewältigen gilt. Sie machen anderen Erkrankten Mut, notwendige Therapien in Angriff zu nehmen und auch schwierige Krankheits- und Lebensphasen durchzustehen. Mit dem Austausch über gute Behandlungen oder Therapien übernehmen sie eine wichtige Zuweisungsfunktion zu Ärzten und Therapeuten.

Vielen Selbsthilfeaktiven ist es ein Anliegen, ihre Erfahrungen auch mit Fachkräften zu teilen. Verbunden mit dem Wunsch nach Partizipation und Teilhabe, möchten sie ihre Patienten-Kompetenz in das ärztliche und pflegerische Handeln einbringen. Um Selbsthilfegruppen diese Mitwirkung zu ermöglichen, bedarf es eines konsequent patientenorientierten und selbsthilfefreundlichen Handelns. Wie dies gelingt, beschreibt das Konzept Selbsthilfefreundlichkeit auf Basis von 5 Elementen.

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Kooperationsdreieck für die Kommunikation auf Augenhöhe

Selbsthilfefreundliche Strukturen

Eine selbsthilfefreundliche Praxis zeichnet sich durch entsprechende Strukturen in der gesamten Organisation aus. Dazu zählen

  • eine offene und wertschätzende Haltung gegenüber Aktiven der Selbsthilfe, die zum Beispiel im Leitbild verankert ist,
  • ein konkreter Ansprechpartner für die Selbsthilfe, der gut erreichbar ist,
  • transparente Regeln z. B. zur Nutzung von Räumen und Präsentationsflächen
  • klar definierte Zuständigkeiten,
  • Sichtbarmachen der Selbsthilfe für Patienten und Öffentlichkeit.

Selbsthilfekontaktstellen

Um die Zusammenarbeit mit der Selbsthilfe stabil und tragfähig zu gestalten, wird die örtliche Selbsthilfekontakt-stelle als dauerhafter Kooperationspartner eingebunden. Damit entsteht ein Kooperationsdreieck (siehe Grafik Seite 5). Selbsthilfekontaktstellen sind zentrale Anlaufstellen für alle, die sich über die Selbsthilfe informieren möchten, Kontakt zu Selbsthilfeinitiativen suchen oder eine Gruppe gründen möchten. Als erfahrene Kooperationspartner von Fachleuten aus dem Gesundheits- und Sozialbereich sorgen sie für eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe und achten darauf, dass die knappen Ressourcen aller Beteiligten nicht aus dem Blick geraten.

Qualitätskriterien

Für Arzt- und Psychotherapiepraxen geben die sechs Qualitätskriterien im Kasten Anhaltspunkte für die Gestaltung der Kooperation mit der Selbsthilfe. Sie bilden Rahmen und Gerüst für die Entwicklung von passgenauen Maßnahmen vor Ort. Welche dies sind, wird gemeinsam mit den Vertretern der Selbsthilfe in regelmäßigen gemeinsamen Besprechungen entwickelt und kann von Praxis zu Praxis verschieden sein.

Sechs Qualitätskriterien für Selbsthilfefreundlichkeit

1. Über Zusammenarbeit informieren

Die Praxis berichtet über ihre Zusammenarbeit mit der Selbsthilfe und unterstützt die Öffentlichkeitsarbeit der Selbsthilfe.

2. Selbstdarstellung ermöglichen

Um sich über Selbsthilfe zu informieren, werden Räume, Infrastruktur und Präsentationsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt, deren Gestaltung sich an den Bedürfnissen der Patienten bzw. Angehörigen sowie den Selbsthilfegruppen orientiert.

3. Auf Teilnahme hinweisen

Patienten bzw. Angehörige werden regelmäßig und persönlich über die Möglichkeit zur Teilnahme an einer für sie geeigneten Selbsthilfegruppe informiert und auf Angebote der Selbsthilfe aufmerksam gemacht.

4. Ansprechpartner benennen

Die Praxis benennt einen Selbsthilfebeauftragten als Ansprechpartner.

5. Zur Selbsthilfe qualifizieren

Mitarbeiter der Praxis sind zum Thema Selbsthilfe qualifiziert. In die Fort- und Weiterbildung sind Selbsthilfegruppen einbezogen.

6. Kooperation verlässlich gestalten

Praxis und Selbsthilfe treffen konkrete Vereinbarungen zur Zusammenarbeit und zum regelmäßigen Austausch.

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Arbeit in einem Qualitätzirkel

Regelmäßiger Austausch

Der regelmäßige Austausch ist das Herz der Kooperation. Hier arbeiten der Selbsthilfebeauftragte, die kooperierenden Selbsthilfegruppen und die regionale Selbsthilfekontaktstelle zusammen.

Nach einem systematischen Verfahren werden gemeinsam Maßnahmen und Aktivitäten der Zusammenarbeit geplant, entwickelt und nachbereitet. Unterschiedliche Erwartungen, Bedürfnisse und Ressourcen aller Beteiligten können so immer wieder neu geklärt und berücksichtigt werden. Die offene Gesprächskultur eines regelmäßigen Austausches im Sinne eines Qualitätszirkels ermöglicht es, auch negative Kooperationserfahrungen anzusprechen und neu zu gestalten. So wachsen gegenseitiges Verständnis und ein vertrauensvolles Miteinander.

Auszeichnung

Gesundheitseinrichtungen, die die Qualitätskriterien für Selbsthilfefreundlichkeit erfüllen, können sich beim Netzwerk um eine Auszeichnung ihres Engagements bewerben. 2011 erhielten erstmals acht Arztpraxen das Gütesiegel Ausgezeichnet vom Netzwerk Selbsthilfefreundlichkeit. Mittlerweile wird das Konzept auch in zahlreichen Kliniken umgesetzt. Für die Selbsthilfe ist das ein großer Gewinn, da sie die Möglichkeit erhält, ihre Anliegen vor Ort wirksam einzubringen und ihr Erfahrungswissen für die Patientenversorgung nutzbar zu machen. Für die Kliniken und Praxen stellt die Umsetzung der Selbsthilfefreundlichkeit ein bedeutendes Qualitätsmerkmal der Patientenorientierung dar.

Antje Liesener

Was dahinter steckt

Das Netzwerk Selbsthilfefreund-lichkeit und Patientenorientierung im Gesundheitswesen wurde 2009 gegründet. Es wird gefördert von AOK, BARMER GEK, BKK Dachver-band und Knappschaft. Träger des Netzwerks ist der Paritätische Wohlfahrtsverband.
Ansprechpartnerin Antje Liesener ist zu erreichen unter 030/24636-339 oder per eMail unter
selbsthilfefreundlichkeit@paritaet.org
www.selbsthilfefreundlichkeit.de