Innovative Behandlungskonzepte
Chronische Wunden versorgen
Wunden sind kein eigenständiges Krankheitsbild. Sie haben verschiedene Ursachen und können praktisch überall am Körper auftreten. Normalerweise heilen sie innerhalb einer kurzen Frist von ein bis zwei Wochen, doch es gibt auch eine Reihe von Krankheitsformen, die durch chronische Wunden charakterisiert sind. Definiert ist eine chronische Wunde in den Leitlinien dadurch, dass sie seit mehr als zwei Monaten besteht und trotz Behandlung keine Heilungstendenz aufweist. Die häufigsten Formen chronischer Wunden sind:
- Ulcus cruris venosum: Unter einem Ulcus cruris venosum versteht man ein offenes Bein durch venöse Schwäche (chronisch-venöse Insuffizienz, CVI). Dabei kommt es infolge defekter Venenklappen zu einer Druckerhöhung in den Venen und aufgrund der Schwerkraft ist der Druck des Blutes in den Venen der Beine am höchsten (venöse Hypervolämie). Dadurch strömen vermehrt Proteine aus den kapillaren Gefäßen ins Gewebe. Das kann langfristig dazu führen, dass das Gewebe nicht mehr richtig durchblutet wird und dann langsam abstirbt.
- Dekubitus: Ein Dekubitus (Druckgeschwür) ist eine lokal begrenzte Schädigung der Haut oder des darunter liegenden Gewebes infolge von Druck. Er kommt vor allem bei bettlägerigen und immobilen Patienten vor. Hier wird das Gewebe durch den anhaltenden Druck unzureichend versorgt. Es bildet sich ein Ödem, die minderversorgte Haut wird geschädigt – zunächst oberflächlich, später tiefergehend – und wird schließlich nekrotisch. Der Volksmund spricht vom sich wund liegen.
- Diabetisches Fußsyndrom (DFS): Infolge einer lange bestehenden Diabetes-Erkrankung kann es zu Nervenschädigungen (Neuropathie) und Durchblutungsstörungen (Mikroangiopathie) kommen. Bei etwa 50 Prozent aller diabetischen Fußsyndrome liegt neben vermindertem Schmerzempfinden eine zusätzliche Durchblutungsstörung vor. In diesen Fällen können schon aus banalen Verletzungen, etwa durch Tragen von zu festem Schuhwerk, chronische Wunden entstehen.
Ein innovatives Konzept zum Umgang mit chronischen Wunden existiert seit 2008 für Versicherte der AOK Niedersachsen. Dort gibt es eine Art Eingreiftruppe von knapp 100 Personen, die von der Initiative Chronische Wunde e.V. (ICW) besonders für die Wundtherapie ausgebildet wurden. Da viele dieser Wundexpertinnen und -experten Erfahrungen aus der Pflege und der stationären Wundversorgung mitbringen, sind sie bestens vernetzt. Und fachlich so versiert, dass sie mit Ärzten und Pflegediensten auf Augenhöhe kommunizieren können.
Hilfe für Patient und Praxis
Gehen bei der Kasse Verordnungen über häusliche Krankenpflege ein, die chronische Wundversorgung beinhalten, prüfen die Mitarbeiter, ob bei der Versorgung etwas optimiert werden könnte. Versorgungsoptionen werden mit dem Pflegedienst oder der Hausarztpraxis ausgetauscht und gemeinsame Hausbesuche beim Patienten vereinbart.
Am Ende des Prozesses wird gemeinsam eine Strategie für eine optimierte Wundversorgung erstellt. Der Arzt verordnet die dazu nötigen Verbandsstoffe und passt die Verordnung für die häusliche Krankenpflege an. Dieses Prozedere wiederholt sich in Abständen so lange, bis die Wunde geschlossen ist.
Pflegedienste und Hausarztpraxen in Niedersachsen haben die Möglichkeit, Unterstützung aktiv anzufordern (siehe Interview). Das kann konkrete Hilfe zu einzelnen Patienten sein, aber auch eine regionale Schulung zur Wundversorgung für das komplette Praxisteam.
Das Angebot reicht bis in den Bereich der Prävention: Das konsequente und richtige Tragen von Kompressionsstrümpfen kann helfen, chronische Wunden zu vermeiden. Viele Patienten kommen mit den Strümpfen aber nicht zurecht und lassen sie nach der Verordnung in der Schublade liegen. Hier sollten Praxisteams in Niedersachsen darauf hinweisen, dass Patienten sich bei Problemen mit den Strümpfen an die AOK wenden können. Wenn nötig, kommen die Mitarbeiter dann nach Hause und beraten die Patienten zum Umgang mit den Strümpfen.
Ein weiterer Schwerpunkt der Tätigkeit der Wundexperten ist das Netzwerken. Viele Pflegedienste haben eigene Wund-experten, mit denen man zusammenarbeitet. Der fachliche Austausch geht mitunter soweit, dass sich Pflegedienste, Sanitätshäuser, Ärzte und Wundexperten der AOK Niedersachsen in einzelnen Regionen zu Wundstammtischen treffen. Die Themen reichen dabei von Produktpräsentationen über Verfahren, mit denen man arbeiten möchte, bis zu Fallvorstellungen.
Service für Patienten
Frank Klabunde ist Fachmanager Pflege bei der AOK Niedersachsen.
Wie viele Patienten werden von den AOK-Wund-experten in Niedersachsen aktuell betreut?
Im letzten Jahr waren es rund 14.000 Fälle, die die 100 Kolleginnen und Kollegen betreut haben. In der Regel ist das nur ein Beratungsgespräch, oft aber eine anhaltende Betreuung über Wochen und Monate.
Ihre Wundexperten können bei Bedarf ja aktiv angefordert werden. Wer nutzt diesen Service?
Das Angebot steht allen betreuenden Vertrags- und Kooperationspartnern offen. In der Praxis wird es von Pflegediensten sehr häufig genutzt, während Hausarztpraxen oft noch gar nichts davon wissen. Es geht um eine zusätzliche Zweitmeinung, und die ist gerade im Fall von Patienten mit chronischen Wunden oft hilfreich.
Wohin können Hausarztpraxen sich bei Bedarf wenden?
Das Angebot gibt es in dieser Form aktuell nur für AOK-Versicherte in Niedersachsen. Dort können sich Praxen einfach an die zuständige Geschäftsstelle wenden.
Bundesweit aktiv gegen chronische Wunden
Die AOK engagiert sich bundesweit für eine bessere Versorgung von Patienten mit chronischen Wunden, z. B. durch besondere Versorgungsverträge. Ein Beispiel ist der IV-Vertrag der AOK Sachsen-Anhalt mit vier spezialisierten Wundzentren im Land. Patienten mit einer chronischen Wunde werden dort von einem Team aus Ärzten und spezialisierten Physiotherapeuten und Pflegediensten betreut. Mit Erfolg: So dauert es im IV-Vertrag rund 84 Tage, bis eine chronische Wunde geschlossen ist, während es in der Regelversorgung durchschnittlich 566 Tage sind.
Bei der Hausarztzentrierten Versorgung der AOK PLUS in Thüringen sind VERAHs oder NäPAs für das Fallmanagement von Patienten mit einer chronischen Wunde zuständig. Die Mitarbeiterinnen der Hausarztpraxen übernehmen neben der Koordination von Facharzt, Pflegedienst, Sanitätshaus, Physiotherapie usw. auch die Wunddokumentation für den Hausarzt und sind erste Ansprechpartner für die Betroffenen und ihre Angehörigen. Im Rahmen der Wundversorgung machen sie auch Hausbesuche.
Ein besonderer Schwerpunkt beim Thema Wunden liegt auf der Versorgung des Diabetischen Fußes. Denn immer noch müssen sich pro Jahr mehr als 40.000 Diabetiker in Deutschland aufgrund eines Diabetischen Fußyndroms (DFS) Teile ihrer Füße oder Beine amputieren lassen. Um gegenzusteuern, hat die AOK in vielen Regionen besondere Versorgungsverträge geschlossen. Hier geht es vor allem darum, die verschiedenen Beteiligten (Diabetologische Schwerpunktpraxen, Fußambulanzen, Orthopädietechniker, Pflegedienste, Podologen und andere) miteinander zu vernetzen, um eine optimale Versorgung der Patienten zu erreichen.
Webtipp
Homepage der Initiative Chronische Wunden
www.icwunden.de