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Gesundheitskompetenz von Patienten

Informationswirrwarr?

Der informierte Patient gilt heute als Ideal. Aber wer in der Praxis arbeitet, merkt schnell: Das entspricht oft nicht der Realität. Viele Menschen haben Probleme, sich medizinische Infos zu beschaffen, sie zu verstehen und einzuordnen. Mit einem neuen Angebot will die AOK helfen und Orientierung im Informationswirrwarr geben.
© Robert Kneschke – fotolia.com
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Wir alle müssen fast täglich Entscheidungen für unsere Gesundheit treffen – und zwar Entscheidungen ganz unterschiedlicher Art. Hier muss eine Information zu einem Krankheitsbild verstanden werden, dort geht es um die Entscheidung für oder gegen eine Impfung. Und bei jeder gesundheitlichen Einschränkung müssen wir uns die Frage stellen, ob ein Arztbesuch erforderlich ist oder nicht.

All dies erfordert bestimmte Fähigkeiten, die als Gesundheitskompetenz oder Health Literacy bezeichnet werden. Gemeint ist die Gesamtheit aller kognitiven und sozialen Fertigkeiten, welche die Menschen motivieren und befähigen, ihre Lebensweise gesundheitsförderlich zu gestalten.

Denn klar ist: Wer mit seiner Gesundheit verantwortungsvoll umgehen soll, muss nicht nur die richtigen Informationen finden. Er muss sie auch verstehen, beurteilen und für sich anwenden können. Wenn das nicht funktioniert, kann es für den Einzelnen mitunter sogar gefährlich werden – und teuer für die Gesellschaft.

Risiken durch mangelnde Gesundheitskompetenz

Viele internationale Studien weisen darauf hin, dass eine mangelnde Gesundheitskompetenz negative gesundheitliche und finanzielle Auswirkungen hat:

  • risikoreicheres Gesundheitsverhalten
  • geringere Inanspruchnahme von Angeboten zur Prävention und Früherkennung
  • spätere Diagnosestellung
  • geringere Therapietreue
  • schlechtere Selbstmanagement-Fähigkeiten
  • erhöhtes Risiko einer Krankenhausaufnahme
  • schlechtere physische und psychische Gesundheit
  • höheres frühzeitiges Sterberisiko
  • höhere Behandlungs- und Gesundheitskosten

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden drei bis fünf Prozent der Gesundheitsausgaben durch eine unzureichende Gesundheitskompetenz verursacht. Allein für Deutschland würde das etwa 9 bis 15 Milliarden Euro im Jahr bedeuten.

Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat die erste bundesweit repräsentative Untersuchung zur Gesundheitskompetenz in Deutschland vorgelegt. Sie hat gezeigt, dass die Deutschen zu wenig über das Thema Gesundheit wissen. Fast 60 Prozent der gesetzlich Versicherten haben Defizite beim Gesundheitswissen. Die Gesundheitskompetenz unterscheidet sich dabei deutlich nach Alter, Geschlecht, Bildung und Einkommen. Auch mit der Suche von Informationen zu Vorsorgeuntersuchungen oder Impfungen tut sich jeder Fünfte schwer. Rund 59 Prozent der Befragten verstehen die Nährwertangaben auf den Lebensmittelpackungen nicht.

Faktenboxen für mehr Gesundheitskompetenz


Wenn Patienten gut informiert sind, können sie bessere Entscheidungen für ihre Gesundheit treffen. Verständliche und verlässliche Gesundheitsinformationen sind hier ein Anfang. Deshalb hat der AOK-Bundesverband gemeinsam mit Wissenschaftlern die AOK-Faktenboxen entwickelt (siehe Webtipp). Sie eignen sich auch als Unterstützung für das Patientengespräch.

Die Boxen haben mehrere Teile: Auf Fragen rund um Nutzen und Risiken von Behandlungen, Untersuchungen, Früherkennungstests und Arzneimitteln folgt die Bewertung des Nutzens und des Schadens beziehungsweise der möglichen Nebenwirkungen. Die Ergebnisse sind mit Grafiken und leicht verständlichen Texten aufbereitet. Wer tiefer einsteigen will, findet dazu weitere Erläuterungen und Quellen. Mittlerweile gibt es drei Faktenboxen zu Impfthemen (MMR-Impfung, Influenza-Impfung für Senioren und Pertussis-Impfung für Jugendliche und Erwachsene). Darüber hinaus stehen medizinische Faktenboxen zum Sinn und Unsinn von Nahrungsergänzungsmitteln, zum Röntgen bei allgemeinen Rückenbeschwerden, zur Stoßwellentherapie beim Tennisarm sowie zum Nutzen eines jährlichen Ultraschalls zur Früherkennung von Eierstockkrebs zur Verfügung.

Weitere Faktenboxen informieren über GKV-Leistungen wie die Pflegeberatung, die Kostenübernahme für Zahnspangen oder die Zahlung von Kinderkrankengeld durch die gesetzlichen Kassen. Das Angebot soll Schritt für Schritt erweitert werden.

Weitere Faktenboxen informieren über GKV-Leistungen wie die Pflegeberatung, die Kostenübernahme für Zahnspangen oder die Zahlung von Kinderkrankengeld durch die gesetzlichen Kassen. Das Angebot soll Schritt für Schritt erweitert werden.

Wer die Faktenboxen im Alltag nutzt, kann sicher sein, auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand zu sein. Ganz bewusst sprechen die Wissenschaftler in den Boxen allerdings keine Empfehlungen aus. Der Leser soll Nutzen und Risiken selbst abwägen und auf dieser Grundlage für sich persönlich eine Entscheidung treffen – oder gut informiert ins Gespräch mit dem Arzt gehen.

Gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Um die Gesundheitskompetenz der Patienten zu steigern, fordern viele Experten als ersten Schritt eine Verbesserung der Kommunikationskompetenz der Gesundheitsberufe. Das heißt, dass auch Sie hier zunehmend gefordert sind. Denn Sie kennen die unterschiedlichen Bedürfnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen Ihrer Patienten und können dabei helfen, sie mündiger zu machen. Etwa, indem Sie auf die Faktenboxen und andere geprüfte Internetangebote wie die des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG, siehe Webtipp) hinweisen. Diese zusätzliche Investition in Zeit und eigene Fortbildung wird sich am Ende nicht nur für Ihre Patienten lohnen, sondern auch für die Praxis – und nicht zuletzt für Sie selbst.

Deutschland EU-weit unter dem Durchschnitt

© Denys Rudyi – fotolia.com
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Im Rahmen einer Repräsentativ-Umfrage des Wissenschaftlichen Dienstes der AOK (WIdO) zur Messung der Gesundheitskompetenz zeigten sich bei gesetzlich Versicherten deutliche Defizite – auch im europaweiten Vergleich. So liegt der allgemeine Gesundheitskompetenz-Wert (Score) mit 31,9 unter dem europäischen Index-Wert von 33,8. Sieben Prozent der GKV-Versicherten in Deutschland haben eine ausgezeichnete und 33,5 Prozent eine ausreichende Gesundheitskompetenz . Bei 45,0 Prozent der GKV-Versicherten ist der Kenntnisstand hingegen problematisch, bei 14,5 Prozent sogar unzureichend. Der Unterschied zum EU-Durchschnitt geht vor allem auf Fragen rund um die Themen Krankheitsbewältigung und Prävention zurück: Hier zeigt sich, dass mehr als die Hälfte der GKV-Versicherten Schwierigkeiten hatten, gesundheitsrelevante Informationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und umzusetzen.

Webtipps