Depression
Online-Training für die Stimmung
Schätzungsweise sechs bis acht Prozent der Erwachsenen leiden an einer Depression und jeder fünfte bis sechste ist irgendwann im Lauf seines Lebens davon betroffen. Bei Frauen werden Depressionen im Durchschnitt doppelt so oft wie bei Männern diagnostiziert. Wichtig zu wissen: Rund 80 Prozent der Patienten, die zum ersten Mal unter einer Depression leiden, werden ambulant versorgt und rund 2/3 von ihnen werden ausschließlich vom Hausarzt behandelt.
Die Krankheit ist charakterisiert durch eine Reihe von Symptomen: gedrückte Stimmung oder Empfindungen der Gefühllosigkeit, Interessenverlust sowie erhöhte Ermüdbarkeit und Antriebsmangel. Depressive Patienten kommen oft mit körperlichen Symptomen in die Praxis, etwas mit Rückenschmerzen. Das Zusammenspiel zwischen Psyche und Körper ist komplex – daher können psychische Belastungen ihren Ausdruck in körperlichen Symptomen finden.
Für den Schweregrad der Depression gibt es die Einteilung in leicht, mittelgradig, schwer. Über 75 Prozent der Betroffenen haben eine leichte bis mittelgradige Ausprägung der Erkrankung. Wichtig ist es, eine Depression früh zu erkennen – denn dann ist die Erkrankung gut behandelbar. Infrage kommt neben einer medikamentösen Behandlung mit sogenannten Antidepressiva auch psychotherapeutische Verfahren wie die kognitive Verhaltenstherapie. Dabei lernen Patienten, negative Wahrnehmungen und Gedanken so umzugestalten, dass sie künftig besser mit belastenden Situationen umgehen können. Häufig wird auch eine Kombination aus beiden angewandt.
Auf der kognitiven Verhaltenstherapie basiert auch MoodGYM, ein in Deutschland neuartiges Online-Selbsthilfeprogramm für Menschen mit Depressionen. MoodGYM – übersetzt Fitness für die Stimmung – ist ein computergestütztes, interaktives und leicht verständliches Trainingsprogramm, das depressive Symptome deutlich verringern kann. Das haben Studien gezeigt. Entwickelt und eingeführt wurde MoodGYM vor über zehn Jahren von australischen Wissenschaftlern.
Zu den Vorteilen computergestützter Selbsthilfeprogramme gehört es unter anderem, dass sie
- rund um die Uhr und von jedem Ort der Welt aus zur Verfügung stehen.
- aufgrund der Anonymität für Benutzer eine besonders niedrige Einstiegshürde haben.
- dem Nutzer die Möglichkeit bieten, seine Lern- und Erfahrungsprozesse von Anfang bis Ende selbst zu steuern und damit seine Selbstmanagementkompetenzen und seine Selbstwirksamkeit zu entwickeln.
- komplett auf das Informationsverhalten der Internetgenerationen abgestimmt sind – und die reichen von unter 20 Jahren bis 60 plus.
- als Internetvariante klassischer Angebote inhaltlich gut evaluiert sind. Die Übernahme von bewährten Methoden in computer- oder internetgestützten Ansätzen ist aufgrund der strukturierten Methode und der hohen Selbstmanagement-Anteile relativ einfach.
Chancen lange ungenutzt
Die Chancen, die Online-Selbsthilfeprogramme bieten, bleiben bisher weitgehend ungenutzt. Seit Anfang dieses Jahres steht MoodGYM jetzt aber auch deutschen Patienten zur Verfügung. Mit finanzieller Unterstützung der AOK haben Wissenschaftler der Universität Leipzig das Selbsthilfeprogramm aus dem Englischen übersetzt und an deutsche Verhältnisse angepasst. Mit dem Angebot können auch Menschen erreicht werden, die in ländlichen Gegenden wohnen und schwer Zugang zu fachspezifischer Behandlung oder noch Berührungsängste damit haben.
MoodGYM besteht aus insgesamt fünf Bausteinen, die Patienten Hilfe zur Selbsthilfe sowie nützliche Tipps und Anregungen für einen besseren Umgang mit psychischen Belastungen geben können. Virtuelle Personen begleiten die Patienten durch das Programm: Da ist beispielsweise Viktoria, die ständig an sich zweifelt und von der Zukunft nur Misserfolge erwartet. Aber da ist auch Nullproblemo, ein selbstsicherer, lebenslustiger Typ, der selbst schwierigen Situationen etwas Positives abgewinnen kann. Alle haben das gleiche Ziel: Sie machen Nutzern Mut, eine Situation anders als bisher zu interpretieren und ermöglicht es ihnen so, aktiv zu werden und ihren Krankheitsverlauf ein Stück weit selbst zu beeinflussen.
Kostenlos und frei verfügbar
MoodGYM steht allen Interessierten zur Verfügung – nicht nur AOK-Versicherten. Deshalb ist es sinnvoll, im Wartezimmer auf diesen Service hinzuweisen. Dass MoodGYM tatsächlich funktioniert, zeigen die ersten Ergebnisse einer Studie, die am Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health der Universität Leipzig durchgeführt wurde und in die die 190 Ärzte und 647 Hausarztpatienten einbezogen sind. Dabei wurden Patienten zu drei Mess-Zeitpunkten befragt: bei Beginn der Teilnahme in der Hausarztpraxis, nach sechs Wochen zu Hause und nach weiteren sechs Monaten zu Hause.
Die Kurzzeitergebnisse nach sechs Wochen zeigten, dass die Intervention wirkt, die depressive Symptomatik ist reduziert und die Lebensqualität der Patienten steigt. Die Endergebnisse sollen im Sommer 2016 vorliegen.
Eine neue Option für Patienten mit Depressionen
Dr. Astrid Maroß ist als Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie beim AOK-Bundesverband tätig.
Dr. Astrid Maroß ist als Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie beim AOK-Bundesverband tätig.
Frau Dr. Maroß, für wen ist MoodGYM Ihrer Meinung nach geeignet?
MoodGYM eignet sich zur Vorbeugung und Linderung von depressiven Symptomen. In der Hausarztpraxis profitieren Menschen mit leichten bis mittelschwerer Depression nachgewiesenermaßen davon, denn diese Hilfe steht sofort und niedrigschwellig zur eigenen Verfügung.
Das Training bringt die Patienten dazu, sich mit ihren depressiven Symptomen auseinanderzusetzen. Es zeigt auf leicht verständliche Weise, wie negative Gefühle und depressive Symptome zusammenhängen und wie es gelingen kann, wenig hilfreiche Gedankenmuster zu erkennen und zu ersetzen.
Wie sehen Sie den zukünftigen Einsatz im Therapiemix?
Natürlich kann MoodGYM weder den Arzt noch erforderliche Medikamente oder eine Psychotherapie ersetzen. Aus meiner Sicht ist das Trainingsprogramm aber eine neue Option im Gesamtbehandlungsplan, denn es unterstützt die Selbsthilfemöglichkeiten jedes Einzelnen und aktiviert die eigenen Einflussmöglichkeiten auf den Verlauf durch einen weiteren Ansatzpunkt. Das Programm kann die Behandlung sinnvoll ergänzen.
Was raten Sie potenziellen Teilnehmern?
Ehe Patienten das Online-Programm starten, sollten sie mit dem Hausarzt sprechen. Der Hausarzt ist wichtiger Ansprechpartner und Vertrauter des Patienten. Er kann am besten beurteilen, ob MoodGYM sich für diesen Patienten eignet. Die meisten Hausärzte, die an der Leipziger Studie teilgenommen haben, beurteilten das Programm übrigens positiv.
Wie können Praxisteams Patienten unterstützen?
Mit einem Online-Programm können Betroffene selbst etwas zusätzliches für sich tun - da ist es eine gute Motivation, wenn das Praxisteam Zuversicht und eine positive Grundhaltung zu diesen neuen Möglichkeiten vermittelt. Man kann die ärztliche Empfehlung durch einen Patientenflyer unterstützen, der im Internet zum Download steht (Webtipp).
Webtipps
- Unter http://www.moodgym.de ist das Online-Selbsthilfeprogramm frei zugänglich.
- Weiterführende Informationen rund um MoodGYM und ein Patientenflyer zum Download unter http://www.moodgym-deutschland.de