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Körperschutz und Psychologie

Strategien gegen den Ekel

Ekel ist eine normale Reaktion unseres Körpers und in der Medizin ein alltägliches Thema. Trotzdem wird kaum darüber gesprochen. Dabei gibt es Strategien, um mit dem unangenehmen Gefühl besser umzugehen.
© tawesit - stock.adobe.com
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Der Anblick einer offenen Wunde, der Geruch von Eiter bei der Behandlung eines Abzesses, eine blutige Urinprobe oder die mangelnde Hygiene eines Patienten – in einer Arztpraxis gibt es viele Dinge, vor denen man sich ekeln kann. Wikipedia definiert Ekel als die Empfindung einer starken Abneigung in Verbindung mit Widerwillen. Im Gegensatz zu anderen weniger starken Formen der Ablehnung äußert sich Ekel mitunter auch durch starke körperliche Reaktionen wie Übelkeit und Brechreiz, Schweißausbrüche, sinkenden Blutdruck bis hin zur Ohnmacht.

Das klingt zunächst einmal so, als brauche das niemand. Aber Ekel hat auch eine biologische Funktion, dient er doch der Prävention von Krankheiten. Ekel kann die Aufnahme ungenießbarer oder gesundheitsschädlicher Nahrung verhindern. In vielen Fällen besteht zum Beispiel die Gefahr einer Infektion und die Ekelreaktion unseres Körpers soll uns nach Möglichkeit davor schützen. Das ist auch bei der Arbeit in der Praxis so – weil Sie den Patienten aber helfen müssen, können Sie nicht einfach weglaufen.

Was ist Ekel?

Ekel entsteht vermutlich im sogenannten Mandelkern, einer Region des Gehirns, in der sensorische Signale mit Gedächtnisinhalten und Emotionen verknüpft und in konkrete Handlungen umgesetzt werden. Für die typischen physiologischen Ekelreaktionen wie Speichelfluss, Würgereiz und Erbrechen ist das Brechzentrum im verlängerten Rückenmark zuständig. Als Teil des vegetativen Nervensystems ist es nur sehr schwer zu beeinflussen.

Die Fähigkeit zum Ekel wird größtenteils erst im Lauf des Lebens erworben. Kleinkinder spielen durchaus auch mit vollen Windeln oder stecken auf dem Spielplatz Würmer in den Mund ohne sich zu ekeln. Auch auf unangenehme Gerüche reagieren Kleinkinder nicht. Erst mit drei bis fünf Jahren entwickeln wir ein Bewusstsein für sauber und unsauber und ekeln uns fortan vor allem vor Dingen, die mit Krankheit und Tod zu tun haben.

Ekel wird am häufigsten über den Geruchssinn ausgelöst, aber auch alle anderen Sinne können dazu beitragen. Zudem spielen Assoziationen offensichtlich eine wesentliche Rolle beim Entstehen von Ekelgefühlen. So löste in einer Studie Orangensaft, der in einer neuen sterilen Urinflasche angeboten wurde, bei vielen Studienteilnehmern Ekel aus.
Da Ekel zu weiten Teilen erlernt ist, gibt es auch erheblich Differenzen zwischen den Kulturkreisen. Weltweit am häufigsten als ekelerregend bezeichnet werden Leichen, offene Wunden, Körperprodukte wie Kot, Urin oder Eiter, der Geruch verdorbener Lebensmittel und bestimmte Tiere wie Würmer und Ratten. Frauen reagieren insgesamt sensibler als Männer und ein Auslöser wird bei einer fremden Person als ekliger empfunden, als bei einer vertrauten Person.

Da Ekel durch die Verbindung von Reizen und Erinnerungen entsteht, kann man sich ein Stück weit auch an ihn gewöhnen. Hat man mit bestimmten Dingen oft Kontakt, lassen die Reaktionen des Körpers darauf allmählich nach, z. B. beim Hantieren mit Urin und Stuhlgang in Pflegeberufen. Die sensorischen Informationen werden dann weiterhin wahrgenommen, doch der emotionale Gehalt nimmt ab. Ganz verloren gehen die neuronalen und muskulären Reaktionen aber nicht. Zudem gelingt die Gewöhnung nicht immer – im Gegenteil: Er kann mit der Zeit sogar schlimmer werden, die Psychologen nennen das den Sensitivierungseffekt. Das Problem zu verdrängen hilft dann auch nicht, denn es besteht die Gefahr, dass sich Emotionen anstauen und zu einem schlechten Umgang mit den Patienten und einer hohen Unzufriedenheit mit der eigenen Leistung führen. Unangenehme Gefühle wie Ekel sind normal, sie können auch zusammen mit aggressiven Gefühlen auftreten. Das Wissen, dass Ekel ein normales Phänomen auch für Profis im Medizinbetrieb ist, verhindert Ignorieren, Abwerten und Härte als eigene Reaktion darauf.

Wenn sich eklige Situationen nicht vermeiden lassen, kann man sich bewusst machen, dass die Nähe ein wesentlicher Faktor für das Ekelerleben ist. Meist verlieren Dinge ihren Ekel, wenn man sich ein Stück von ihnen entfernt – sofern das möglich ist. Auch die mentale Vorbereitung auf eine Situation kann helfen, etwa bei einer Darmuntersuchung, wo Blähungen oder unkontrollierte Darmentleerungen häufiger vorkommen.

Drei psychologische Rezepte zum Umgang mit Ekel

Neben dem Tragen von Schutzkleidung und dem Übertünchen unangenehmer Gerüche gibt es auch psychologische Strategien für den Umgang mit Ekelgefühlen:

  • Labeln. Beschriften Sie in Ihren Gedanken ein für Sie unangenehmes Bild, etwa eines Hautekzems, mit dem Namen der entsprechenden Erkrankung. Wenn Sie das ein paar Mal wiederholen, gewöhnen Sie sich leichter an den Anblick
  • Reappraisal. Das Wort bedeutet auf deutsch Neubewertung, gemeint ist die Neubewertung der Situation. Versuchen Sie die Position eines außenstehenden Beobachters einzunehmen. Das hilft in vielen Fällen, sich als Handelnder weniger bedroht zu fühlen.
  • Selbsterkenntnis. Machen Sie sich klar, was genau an der aktuellen Tätigkeit für Sie so ekelerregend ist. Die Idee, sich mit eiserner Selbstdisziplin zur Ekellosigkeit zu erziehen, führt auf Dauer nur zu Frustration und Aggression. Dagegen kann es durchaus sehr hilfreich sein, wenn Sie sich mit dem vorübergehenden Charakter und der Technik der Tätigkeit beschäftigen. Mit Das geht bald vorbei und dann habe ich meine wohlverdiente Pause können Sie den Verarbeitungsprozess positiv steuern.

 

Ekel-Management

Ekel-ManagementAuch das Tragen von Handschuhen oder Schutzkleidung kann den Umgang mit ekligen Substanzen oder Patienten deutlich erleichtern. Aus Hygienegründen ist das ohnehin bei vielen Untersuchungen Standard und kann bewusst auch zur Abgrenzung in der aktuellen Situation genutzt werden.

Pflegeschaum vermindert belastende Gerüche und ermöglicht, dass man die Substanz darunter verstecken kann. Üble Gerüche lassen sich durch Lutschen von Bonbons ein Stück weit übertünchen und für frische Luft zu sorgen hat auch noch nie geschadet.

Viele eklige Situationen lassen sich durch gute Planung zumindest reduzieren. Wenn bei einem Patienten mit Erbrechen gerechnet werden kann, sollte man Nierenschalen bereitstellen und sie mit einem Stück Gaze oder Papier auslegen, dann lässt sich Erbrochenes leichter entfernen. Überhaupt ist es wichtig, dass alle Hilfsmittel, die Ekel reduzierendes Arbeiten ermöglichen, überall bereit stehen. Führt man belastende Tätigkeiten zu zweit oder zu mehreren durch, werden sie als weniger belastend empfunden. Auch für den Patienten sind solche Situationen oft unangenehm und schambesetzt – das Hineinversetzen in den Patienten hilft, Tätigkeiten empathisch zu überstehen.

Nach Ekel erregenden Tätigkeiten sollten man nach Möglichkeit eine Pause einlegen und an die frische Luft gehen. Und wenn der Ekel stärker ist, ist es wichtig, dass Sie sich grundsätzlich Ekelgefühle erlauben und zugestehen. Und mit Freunden oder Kolleginnen über Ihre Gefühle sprechen, denn nichts ist auf Dauer belastender, als alles in sich hinein zu fressen.

Interview

Portrait

Dr. Astrid Maroß ist Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie.

Frau Dr. Maroß, kann man sich Ekel irgendwann abgewöhnen?

Abgewöhnen nicht, aber es gibt Strategien, die helfen können. Letztlich zielen sie darauf ab, einen hilfreichen Umgang mit diesem schwierigen Gefühl und der Belastung zu finden.

Was ist an der Situation in der Hausarztpraxis besonders?

Ekel hat mit Nähe zu tun. Und bei der Praxisarbeit haben wir eine Form von Nähe, die nicht vermeidbar ist. Auch wenn wir den Beruf prinzipiell sehr schätzen, können wir so in Situationen kommen, die uns sehr sensibel gegenüber Ekelgefühlen machen.

Darf man diese Gefühle zulassen?

Unbedingt. Von Ärzten, MFA und Pflegenden wird oft erwartet, dass man die eigenen negativen Gefühle unterdrückt und sich ganz den sozialen Bedürfnissen der Patienten widmet. Das funktioniert aber nicht – viel besser ist es, darüber zu reden, um einen besseren Umgang damit finden zu können.