Das Magazin für Medizinische Fachangestellte

Flüchtlinge in der Hausarztpraxis

Interkulturell behandeln

Eine gute Gesundheitsversorgung ist wichtig für die Integration von Flüchtlingen in die Gesellschaft. Doch funktioniert das? Wir stellen eine aktuelle Studie vor und geben Tipps für eine interkulturelle Patientenbetreuung.
© Georg Wendt / dpa
© Georg Wendt / dpa

Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat untersucht, welche Gesundheitsbeschwerden Geflüchtete haben und wie sie sich in unserem Gesundheitssystem zurechtfinden. Für diese Untersuchung wurden bundesweit mehr als 2.000 Geflüchtete aus Syrien, dem Irak und Afghanistan befragt.

Selbsteinschätzung und Realität

Chronische Erkrankungen sind bei Geflüchteten seltener als in der vergleichbaren deutschen Bevölkerung (13,6 Prozent bei Flüchtlingen gegenüber 30,5 Prozent bei Deutschen). Gleichzeitig schätzten Flüchtlinge ihren eigenen Gesundheitszustand subjektiv deutlich schlechter ein als die Vergleichsgruppen. Nach Ansicht der Studienautoren könnten Ängste und Sorgen angesichts der Situation in der Heimat sowie räumliche Enge, belastende Lautstärke und mangelnde Privatsphäre in den Erstaufnahmeeinrichtungen die subjektive Einschätzung des eigenen Gesundheitszustands prägen.

Auch Angst vor der Zukunft – also Unsicherheit über die eigene Perspektive – und die Schatten der Vergangenheit spielen dabei eine Rolle. Denn die meisten Befragungsteilnehmer aus Syrien, dem Irak und Afghanistan gaben Kriegserlebnisse (60,4 Prozent) oder Angriffe durch Militär oder Bewaffnete (40,2 Prozent) an. Bei jedem Dritten sind Angehörige oder nahestehende Personen verschleppt worden, verschwunden oder gewaltsam ums Leben gekommen. Nur weniger als ein Viertel (22,5 Prozent) der Befragten hat keine dieser traumatischen Erfahrungen selbst erlebt.

Geflüchtete mit traumatischen Erfahrungen berichten mehr als doppelt so häufig über Probleme wie Flüchtlinge ohne traumatische Erlebnisse. Dabei treten vor allem psychische Beschwerden wie Mutlosigkeit, Traurigkeit, Bedrückung (42,7 Prozent) sowie Nervosität und Unruhe (42,9 Prozent) auf.

So erhalten Flüchtlinge medizinische Leistungen

In der Studie wurde auch erhoben, wie die Geflüchteten die medizinische Versorgung in Deutschland erleben und welche Leistungen sie in Anspruch genommen haben. So haben zwei Drittel in den letzten sechs Monaten einen Arzt aufgesucht (68,3 Prozent), überwiegend wegen allgemeiner Gesundheits- und Vorsorgeuntersuchungen sowie wegen akuter leichter Erkrankungen.

Der Zugang zur medizinischen Versorgung ist dabei lokal unterschiedlich geregelt. In vielen Gemeinden und Bundesländern benötigen Asylsuchende einen Berechtigungsschein von der Sozialbehörde, bevor sie eine Behandlung beanspruchen können. Andere Gemeinden und Bundesländer hingegen geben eine elektronische Gesundheitskarte (eGk) aus, die den Behandlungsschein überflüssig macht.

In der Umfrage konnte ein Drittel der Versicherten die elektronische Gesundheitskarte für den Arztbesuch nutzen, knapp 40 Prozent mussten sich zuerst einen Behandlungsschein besorgen. Dabei zeigt sich, dass Patienten mit Gesundheitskarte eine größere Zufriedenheit mit der Behandlung und dem Behandlungserfolg äußern.

In der Umfrage konnte ein Drittel der Versicherten die elektronische Gesundheitskarte für den Arztbesuch nutzen, knapp 40 Prozent mussten sich zuerst einen Behandlungsschein besorgen. Dabei zeigt sich, dass Patienten mit Gesundheitskarte eine größere Zufriedenheit mit der Behandlung und dem Behandlungserfolg äußern.

Sprachbarriere

Wenngleich das Bildungsniveau vieler Geflüchteter beispielsweise aus Syrien relativ hoch ist, haben sie wegen sprachlicher Barrieren Probleme in der Praxis (s. Abb.). Mehr als jeder zweite Geflüchtete (56 Prozent) berichtete über große Schwierigkeiten, sich verständlich zu machen. Ähnlich hoch (51 Prozent) war der Anteil derer, die nicht wissen, welche Gesundheitsangebote ihnen überhaupt zur Verfügung stehen. Gut die Hälfte der Befragten fand es schwierig, herauszufinden, ob er mit seinem Anliegen in eine Arztpraxis oder in ein Krankenhaus gehen sollte. In der Gruppe der chronisch Kranken ist der Anteil derjenigen deutlich höher, die Schwierigkeiten haben, an verständliche Gesundheitsinformationen zu gelangen oder diese umzusetzen.

Die Sprachbarriere kann erfahrungsgemäß für Frustration auf beiden Seiten sorgen. Bei Verständigungsschwierigkeiten können Praxen auf kostenloses Infomaterial zurückgreifen, das unter anderem bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bestellt werden kann.

Besondere Fallstricke gibt es auch bei der nonverbalen Kommunikation. Das fängt schon bei der Begrüßung an. Ältere muslimische Patienten tun sich mit Frauen oft schwer – egal ob als Ärztin oder MFA. Sie können in einem solchen Fall interkulturelle Kompetenz zeigen, indem sie betont sachlich mit der Situation umgehen: nur Nähe herstellen, wo es notwendig ist, auf länger andauernden Augenkontakt verzichten und die Situation empathisch erklären.

Andere Kulturen einschätzen

Ein einfaches Modell zur Kommunikation zwischen verschiedenen Kulturen stammt von dem US-Amerikaner Richard R. Gesteland (Business Behaviour-Modell). Eigentlich als ein Erklärungsmodell für soziales Verhalten im beruflichen Alltag entwickelt, lässt es sich sehr gut auf das Patientenverhalten in der Arztpraxis übertragen.

Demnach beziehen sich die Erwartungen des Patienten im Wesentlichen auf die Achtsamkeit und die Wertschätzung durch Arzt und Praxisteam. Nach dem Modell von Gesteland gibt es nur zwei verschiedene Typen:

Abschlussorientierte Personen konzentrieren sich auf die Sache, nehmen zeitliche Verpflichtungen und Termine ernst, fragen nach detaillierten Hintergrundinformationen und halten Anweisungen gewissenhaft ein. Sie sind an kurzfristige Beziehungen gewöhnt.

Beziehungsorientierte Personen legen mehr Wert auf die persönliche Beziehung, neigen zu Unterbrechungen, sehen Termine als Richtwerte und ändern ihre Pläne oft und ohne Begründung. Sie sind sehr besorgt um enge Verwandte und haben eine Tendenz, lebenslange Beziehungen aufzubauen.

Während wir uns von unseren Patienten in erster Linie Kooperation im Hinblick auf die Erfordernisse des Praxisalltags wünschen, erwarten viele Patienten aus anderen Kulturkreisen auch mehr aufmunternde Worte, mitfühlende Gesten und das Gefühl, umsorgt zu werden. Zudem sind viele Patienten mit Migrationshintergrund davon überzeugt, eine Krankheit nur mithilfe ihrer Familie bewältigen zu können.

Wenn man sich diese Diskrepanz der Erwartungen immer wieder deutlich macht, werden viele Alltagsschwierigkeiten verständlich und sind leichter auszubalancieren.

Beim Zugang zu Gesundheitsinfos und zur Versorgung hakt es noch

Anteil der Geflüchteten (in %), die auf die Frage: „Wie einfach ist es Ihrer Meinung nach für Sie ..." mit „sehr schwierig" und „schwierig" antworteten.

Diagramm
So beurteilen Flüchtlinge das Versorgungsangebot und die Kommunikation.