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Klima und Gesundheit

Die nächste Katastrophe?

Zurzeit bestimmt die Corona-Pandemie die medizinische Diskussion, dabei ist der Klimawandel langfristig das deutlich drängendere Problem. Auch in der Hausarztpraxis können wir das längst beobachten.
© ximixh_natali – stock.adobe.com
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Dass der Klimawandel schlecht für die Artenvielfalt auf der Erde ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Wie stark die Auswirkungen direkt auf die Gesundheit der Menschen auch in unseren gemäßigten Regionen ist, darüber sind viele Menschen nur unzureichend informiert. Ein Bericht der Commission on Climate Change des renommierten Institute for Global Health am University College London beschrieb schon 2009 in der Zeitschrift Lancet den Klimawandel als die größte Bedrohung der weltweiten Gesundheit im 21. Jahrhundert.

Die Lebensbedingungen auf der Erde entwickeln sich durch den wachsenden Temperaturanstieg, den rasanten Zusammenbruch von Ökosystemen wie dem tropischen Regenwald und das Aussterben vieler Arten zu einer medizinischen Notfallsituation, die unsere Gesundheit gefährdet. Das gilt vor allem für künftige Generationen: Das Leben eines jeden Kindes, das heute auf die Welt kommt, wird ganz entscheidend beeinflusst sein von den klimatischen Veränderungen, die sich heute bereits ganz deutlich ankündigen

Die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. (KLUG) hat es sich zum Ziel gesetzt, über dieses Thema zu informieren, es aktiv in die Arztpraxen zu tragen. Es handelt sich dabei um ein Netzwerk von Einzelpersonen, Organisationen und Verbänden aus dem gesamten Gesundheitsbereich. Das Ziel ist klar umrissen: „Klimaschutz ist auch Gesundheitsschutz, deshalb muss die Erderwärmung auf nicht mehr als 1,5 °C begrenzt werden!“

Hitzewellen im Anmarsch

In den letzten Sommern konnten wir die Auswirkungen des Klimawandels jeden Tag in der Praxis beobachten. Hitzewellen mit extremen Temperaturen und erhöhten Ozonwerten. Für gesunde Menschen gibt es bei ausreichender Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme und angepasster Lebensführung (z.B. nicht in der Mittagszeit joggen gehen) auch bei Hitzewellen keine erhöhten Risiken für die Gesundheit. Dagegen macht die Hitze vor allem denen zu schaffen, die gesundheitlich ohnehin schon mit Problemen zu kämpfen haben: älteren Menschen, Kindern, Schwangeren und chronisch Kranken. Hitzestress kann zu einer akuten Verschlechterung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie zu Atemwegsbeschwerden führen.

Aufgrund des Wärmeinseleffekts durch dichte Bebauung und Oberflächenversiegelung tritt die gesundheitsschädliche Wirkung von Hitze besonders in den Städten auf. Die Gesundheitsrelevanz von Hitzewellen wird in Deutschland mit dem wachsenden Anteil älterer Menschen in der Bevölkerung weiter zunehmen.

Pollen und Infektionskrankheiten

Allergiker bekommen die saisonalen Veränderungen des Pollenflugs zu spüren, die durch wärmere Temperaturen und weniger Niederschläge hervorgerufen werden. Und Infektionskrankheiten wie die Frühsommer Meningoenzephalitis (FSME) und die Borreliose breiten sich durch steigende Temperaturen in Gebiete aus, in denen sie früher nicht vorkamen. Selbst Infektionskrankheiten wie das Dengue-Fieber, Zika oder das West-NilVirus, die früher ausschließlich in den tropischen und subtropischen Ländern vorkamen, wurden in den letzten Jahren bereits in Deutschland diagnostiziert.

Auch die psychologischen Auswirkungen nehmen zu. Manche Menschen verlieren alles was sie haben, ihre Heimat wird wegen fortschreitender Verwüstung oder steigendem Meeresspiegel unbewohnbar. Sie müssen flüchten mit allen Konsequenzen, die das für die körperliche und seelische Gesundheit nach sich zieht.

Die Luft macht krank

Ein anderes Klimathema ist die Luftverschmutzung durch Emissionen aus Verkehr, Industrie oder der Energiegewinnung. Das führt zu einer Zunahme von Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen sowie einem Anstieg an Krebserkrankungen. Nach Daten der WHO atmen neun von zehn Menschen weltweit schwer mit Schadstoffen belastete Luft. Die WHO schätzt die Zahl der Menschen, die an den Folgen sterben, auf sieben Millionen im Jahr – unter anderem auch in Deutschland.

Der Gesundheitssektor selbst ist dabei nicht nur Opfer, sondern auch Täter, also Verursacher von Emissionen. Im Jahr 2016 war er für etwa 4,6 Prozent der weltweiten Nettokohlenstoffemissionen verantwortlich, das sind mehr Treibhausgase als der Flugverkehr oder die Schifffahrt verursachen. In Deutschland trägt der Gesundheitssektor sogar mehr als 5 Prozent zu den Treibhausgasemissionen des Landes bei.

Vom Mai 2019 an werden klimafreundliche Maßnahmen von 250 Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen im Projekt „KLIK green“ aus Mitteln der Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI) gefördert (Webtipp). Andere Anbieter aus dem Gesundheitsbereich versuchen, mit Klimachallenges und ähnlichen Aktionen auf die Dringlichkeit des Themas hinzuweisen (Webtipp AOK BadenWürttemberg).

Die WHO bezeichnet den Verbrauch von Energie und Ressourcen, die Produktion von Treibhausgasemissionen, die Nutzung und Entsorgung von toxischen Chemikalien sowie die Produktion von Abfall und Abwasser als die wesentlichen Umweltbelastungsfaktoren von Gesundheitssystemen. Gemeinsam mit dem Netzwerk Health Care Without Harm beschreibt die WHO sieben Bereiche für nachhaltiges Handeln in Gesundheitseinrichtungen: Energieeffizienz, nachhaltiges Gebäudedesign, erneuerbare Energien, Mobilität, Nahrungsmittel, Abfall und Wassernutzung.

Ein weiterer Aspekt: Die Hälfte der 100 am häufigsten verschriebenen Medikamente haben ihren Ursprung in der belebten Natur. Und wenn man davon ausgeht, dass viele Arten noch gar nicht entdeckt sind – im tiefen Regenwald, in den Meeren oder als Mikroorganismen irgendwo in anderen Lebewesen – kann man ahnen, dass der Verlust an Biodiversität auch die Medizin und die Pharmazie betrifft.

Zeit zum Handeln

Die Wissenschaftler-Kommission des Lancet sieht die Reduktion von Treibhausgasen als entscheidenden Beitrag zum Gesundheitsschutz heutiger und zukünftiger Generationen. Und jeder kann im Kleinen anfangen. Radfahren und Laufen helfen nicht nur, Emissionen einzusparen, sondern steigern auch die körperliche Fitness. Das Praxisteam kann hier den Patienten gegenüber mit gutem Beispiel vorangehen – um dann auch darüber zu berichten.

Hitzefrei in der Praxis?

  •   Viele Hausarztpraxen in Deutschland haben keine Klimaanlage. Nach den ersten paar heißen Tagen wird es dann auch in den Praxisräumen schnell unangenehm warm. Und dann? Nach der Arbeitsstättenverordnung, die auch für Arztpraxen gilt, liegt die ideale Raumtemperatur zwischen 21 °C und 26 °C. Das ist der grüne Bereich.
  •  Wird die 26 °C-Marke überschrittern, kommen wir in den gelben Bereich. Hier sollten Maßnahmen ergriffen werden, um die Temperatur zu regulieren. Das muss nicht gleich eine Klimaanlage sein. So können etwa Jalousien oder ein anderer Sonnenschutz dafür sorgen, dass die Räume sich weniger aufheizen. Wenn es am Abend und in den Morgenstunden abkühlt, sollte dann kräftig gelüftet werden.
  •  Ab 30 °C in den Praxisräumen gilt Stufe orange. Dann ist der Praxisinhaber verpflichtet, etwas zu unternehmen. Die Technischen Regeln für Arbeitsstätten machen dafür Vorschläge, die aber nicht immer dazu dienen, tatsächlich die Temperatur zu senken. Einen Anspruch auf bestimmte Maßnahmen, zum Beispiel kostenloses Mineralwasser, gibt es nicht. Es reicht, wenn einige Punkte gegen die Hitze in der Praxis umgesetzt wurden.
  •  Bei über 35 °C Raumtemperatur sollte ein Bereich nicht mehr für die Arbeit genutzt werden. Dann sollte zum Beispiel überprüft werden, ob die Arbeit in einen anderen Raum verlegt werden kann. Hitzefrei im rechtlichen Sinne gibt es aber nur in der Schule – nicht in der Arztpraxis.