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Zwei Jahre Erfahrung

Was bringen die digitalen Gesundheitsanwendungen?

Bei manchen Krankheiten können Ärzte seit zwei Jahren digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) verschreiben. Wir haben uns umgeschaut, wie oft diese Angebote genutzt werden und welche Probleme es noch zu lösen gilt.
© MQ-Illustrations – stock.adobe.com
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Seit rund zwei Jahren haben die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Anspruch auf eine Versorgung mit sogenannten Apps auf Rezept. Die Grundlage bildet das im Dezember 2019 in Kraft getretene Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG). Diese Medizinprodukte sollen bei der Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten und Verletzungen helfen. Mit dem Ziel einer verbesserten Gesundheit, einer verkürzten Krankheitsdauer, einem verlängerten Überleben oder einer verbesserten Lebensqualität. Eine solche DiGA kann von einem Arzt oder Psychotherapeuten verordnet werden. Das Formular muss der Patient bei seiner Kasse einreichen. Inzwischen sind 31 DiGA gelistet. Zu den am häufigsten verordneten Apps gehören Kalmeda für Patienten mit chronischem Tinnitus, Vivira zur Behandlung von Rücken-, Knie- und Hüftschmerzen sowie Zanadio, mit deren Hilfe Menschen mit Adipositas dauerhaft Gewicht reduzieren sollen. Die Apps finden sich in den bekannten Appstores von Apple und Google oder auf Seiten der Hersteller.

Die DiGA wird von Patientinnen und Patienten entweder allein genutzt oder zusammen mit einem Arzt. Durch die anonymen Rezeptcodes zur Nutzung der DiGA sollen die Hersteller keinerlei Kenntnis über die Identität des Patienten erlangen. Allerdings nutzen DiGAs auch medizinische Daten, die aus Messgeräten stammen oder vom Patienten eingegeben werden. Die Hersteller müssen daher bei der Antragstellung bestätigen, dass sie die Anforderungen an die europäischen Datenschutzregeln einhalten und nur unbedingt erforderliche Daten nutzen.

Einen Überblick über alle geprüften Anwendungen gibt das DiGA-Verzeichnis des BfArM. Aufgeführt werden dort neben dem Produktnamen und dem Hersteller unter anderem Zielsetzung, Wirkungsweise, Inhalt und Nutzung. Für Fachkreise finden sich Angaben zu wissenschaftlichen Studien und medizinischen Daten. Nach Angaben des GKV-Spitzenverbandes wurden im Zeitraum vom 1. September 2020 bis zum 30. September 2021 rund 50.000 DiGA ärztlich verordnet beziehungsweise von den Krankenkassen genehmigt. Über den Freischaltcode aktiviert wurden im Endeffekt rund 39.000 Apps und damit knapp 80 Prozent. Die meisten DiGA sollen bei psychischen Erkrankungen helfen, wie etwa Depressionen. Danach folgen Apps aus der Kategorie „Muskeln, Knochen und Gelenke“ sowie aus der Gruppe „Hormone und Stoffwechsel“. Im genannten Zeitraum sind für die GKV Kosten in Höhe von 13 Millionen Euro angefallen.

Positive Aspekte ...

Manche DiGA können dabei helfen, bestehende Versorgungslücken zu schließen. Sie sind dabei kein Ersatz für Ärzte und Psychotherapeuten, sondern „ein ergänzendes, unterstützendes Angebot“. Manchmal dienen sie auch dazu, lange Wartezeiten – etwa auf eine Psychotherapie – zu überbrücken. Die gesetzlichen Krankenkassen sehen das grundsätzlich positiv. Einzelne Anwendungen, so der AOK Bundesverband, hätten durchaus das Zeug, die Versorgung der Versicherten sinnvoll zu ergänzen und zu verbessern. „Wenn Apps und Webanwendungen einen Mehrwert bieten, ist es auch gerechtfertigt, dass sie von der Solidargemeinschaft bezahlt werden“, sagt die Vorstandsvorsitzende Dr. Carola Reimann.

... und ungelöste Probleme

Kritik gibt es dort aber auch, beispielsweise an der Preisbildung. Das bezieht sich insbesondere auf das Recht der Unternehmen, im ersten Jahr nach der Aufnahme der DiGA in das BfArM-Verzeichnis die Höhe des Preises frei wählen zu können. Denn die Vergütungsbeträge für dauerhaft aufgenommene DiGA gelten erst ab dem 13. Monat. Auch Apps auf Rezept müssten dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechen, so die Forderung der Kassen und ihrer Verbände. Der durchschnittliche Preis aller gelisteten DiGA für eine Verschreibungsdauer von 90 Tagen lag Ende vergangenen Jahres bei stolzen 428 Euro.

Der Prüfprozess beim BfArM ist ebenfalls umstritten. Antragsteller müssen nachweisen, dass ihre DiGA als Medizinprodukt mit niedrigem Risiko CE-zertifiziert ist und alle notwendigen Anforderungen etwa an Sicherheit und Leistungsfähigkeit, Qualität und Risikobewertung erfüllt hat. Außerdem muss der Hersteller anhand wissenschaftlicher Daten nachweisen, dass die App positive Versorgungseffekte hat – dies aber erst innerhalb von zwölf Monaten. Die Kassen fordern, dass Anbieter nachweisen, dass DiGA einen beträchtlichen positiven Effekt für die Versorgung haben. Was will die Politik? Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) wünscht sich eine „Integration von DiGA in umfassendere, patientenzentrierte Versorgungsabläufe“, gemeint ist wohl die wachsende E-Health-Infrastruktur. Studien hätten gezeigt, so das Ministerium, dass Anwendungen für Patienten immer dann am wirkungsvollsten seien, wenn digitale und menschliche Versorgung gut aufeinander abgestimmt sind. Insgesamt wurde nach Ansicht des BMG mit den DiGA ein „wichtiger neuer Bereich der Gesundheitsversorgung“ eröffnet. Die Bundesregierung will aber wachsam bleiben und die Auswirkungen des aktuellen Höchstbetragssystems „aufmerksam verfolgen“ um dann gegebenenfalls gegenzusteuern. Demnächst könnte es zusätzlich auch digitale Pflegeanwendungen – kurz DiPA – geben. Sie sollen von Pflegebedürftigen genutzt werden, um den eigenen Gesundheitszustand durch Übungen zu stabilisieren oder zu verbessern. Eine App kann etwa das Risiko von Stürzen ermitteln und vor diesen schützen. Andere Anwendungen bieten Gedächtnisspiele für Menschen mit Demenz an. DiPA können aber auch die Kommunikation mit Angehörigen und Pflegefachkräften verbessern.

Fluch oder Segen? Das sagt die AOK

Die AOK begrüßt es grundsätzlich, dass sinnvolle digitale Gesundheitsanwendungen mit niedrigem Risiko nun von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden können. Für die Patienten ist es aber entscheidend, dass die medizinischen Anwendungen, die von den Ärzten verordnet und von den Kassen erstattet werden, einen echten medizinischen Nutzen bieten. Einzelne Anwendungen haben durchaus das Zeug dazu, die Versorgung der Versicherten sinnvoll zu ergänzen und zu verbessern. Wenn sie einen solchen Mehrwert bieten, ist es auch gerechtfertigt, dass diese Apps und Webanwendungen von der Solidargemeinschaft bezahlt werden.

Die aktuellen Anforderungen an die DiGAs sind aber aus mehreren Gründen keine gute Basis, um die „Spreu vom Weizen“ zu trennen, vor allem die häufig geringe Qualität der Studien wird kritisiert. Ebenso die recht hohen Preise, die für die ersten zugelassenen DiGAs aufgerufen werden. Die Krankenkassen müssen im ersten Jahr nach der Aufnahme einer DiGA in das BfArM-Verzeichnis den vom Hersteller festgelegten Preis zahlen. Es besteht die Gefahr, dass diese Regelung ausgenutzt wird, um auf Kosten der Beitragszahler möglichst viel Profit zu machen.

Zudem sind die Regelungen zum Datenschutz aus unserer Sicht noch nachzubessern:

  • Bei Verstößen gegen die Datenschutz-Anforderungen sind keine Sanktionen vorgesehen.
  • Es ist nicht verboten, dass in den Anwendungen In-App-Käufe angeboten werden, deren Kosten vom Versicherten allein zu tragen sind.