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Serie Palliativmedizin: Einführung

… ein Fenster in Deinem Haus

Zuhause in vertrauter Umgebung sterben zu dürfen, ist ein sehnlicher Wunsch vieler Menschen. Diesen Wunsch zu ermöglichen, heißt Würde zu geben. Der Hausarzt und die MFA als langjährige Begleiter der Patienten und ihrer Angehörigen spielen dabei eine tragende Rolle. Unsere neue Serie beleuchtet das sensible Thema Palliativmedizin.

© Max Krasnov – fotolia.com

Menschen begreifen den Tod nicht einfach als ein biologisches Ende – vielmehr soll ein Leben vollendet werden. Was aber heißt vollenden und was bedeuten Begriffe wie Selbstbestimmung und Würde, wenn sich jemand in größter Hilfebedürftigkeit befindet, so wie es vielen Menschen in den letzten Tagen und Wochen ihres Lebens ergeht? Wird die Beurteilung des eigenen Lebenswertes nicht auch daran gemessen, wie viel Wertschätzung vor allem ein sterbender Mensch von seinen Mitmenschen erfährt?

Sterbenden beistehen

Eine Gesellschaft ohne Schicksal ist eine Gesellschaft ohne Gnade. Das sagt der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio. Seine These: Die heutige Medizin duldet kein Schicksal mehr. Gesundheit scheint planbar, ja machbar zu sein und Krankheiten, wenn sie denn eintreten, sind selbst verschuldet. Und weil die moderne Medizin seiner Meinung nach dem Machbarkeitswahn verfallen ist, will sie kein Schicksal mehr akzeptieren. Die moderne Medizin hat es deshalb verlernt, Menschen bei der Annahme des Unabwendbaren beizustehen.

Noch vor hundert Jahren war das anders. Menschen war Schicksal vertraut, besonders wenn es um Krankheit und ums Sterben ging. Ärzte konnten oft nicht mehr tun, als ihren Patienten beizustehen. Leiden gemeinsam aushalten, Beistand leisten, wenn keine Heilung möglich ist – das ist das Wesen der Palliativmedizin. Der Begriff kommt aus dem Lateinischen. Pallium ist der Mantel, palliare bedeutet ummänteln, umhüllen. Die Palliativmedizin ist die älteste aller medizinischen Disziplinen, auch wenn sie erst seit ein paar Jahrzehnten über wirksame Ansätze zur Linderung körperlicher Symptome verfügt, vor allem bei Schmerzen. Die Palliativmedizin hat sich die großartigen medizinischen Errungenschaften der letzten hundert Jahre zu Eigen gemacht und den liebenden und sorgenden Teil der Medizin wieder entdeckt. Hierfür müssen schwerstkranke und sterbende Menschen interdisziplinär und intersektoral – Hand in Hand – versorgt werden, was eine große Herausforderung für die stark ausdifferenzierten Gesundheitssysteme darstellt.

Das Hospiz als Lösung

Dieser Herausforderung stellte sich Cicely Saunders. Die Britin, die 2005 im Alter von 87 Jahren starb, gilt als die Begründerin der modernen Hospizbewegung und Palliativmedizin. Sie trat für Nächstenliebe, Würde und Respekt in der Behandlung Todkranker ein und gründete 1967 mit dem St. Christopher`s Hospice in London das erste moderne Hospiz. In diesem sollten die Menschen jenseits eines hektischen Klinikbetriebes in Ruhe sterben.

Das Wort Hospiz kommt vom lateinischen Hospitium, was soviel wie Herberge oder Gastfreundschaft heißt. Hospize entstanden im 4. Jahrhundert mit dem Beginn des Christentums entlang der Pilgerrouten in Europa und boten gesunden und kranken Pilgern gleichermaßen Obdach. Saunders Ansatz war jedoch nicht nur Herberge zu geben, sondern vor allem auch Schmerzen zu lindern und für eine gute medizinische Behandlung Sterbender zu sorgen.

Palliativmedizin

Die Hospizidee ist der zentrale Ausgangspunkt für die Hospizbewegung und die Palliativmedizin. Palliativmedizin ist die Behandlung von Patienten mit einer nicht heilbaren, fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung. Ihr Hauptziel ist die Erhaltung der bestmöglichen Lebensqualität. Die Linderung und Befreiung von Symptomen ist dabei alles überragender Mittelpunkt der Therapie, wozu besonders die Schmerztherapie gehört.

Daneben geht es um die Integration der psychischen, sozialen, und seelsorgerischen Bedürfnisse der Patienten und ihrer Angehörigen – aber auch des Behandlungsteams – während der Erkrankung und danach. Dazu gehört es, das Sterben als Teil des Lebens zu akzeptieren. Der Patient soll dabei selbst entscheiden können, ob er zuhause oder in einer stationären Einrichtung versorgt werden will.


Dauerhafte Behandlung


Quelle: www.dhpv.de
In den vergangenen 25 Jahren ist in Deutschland ein diff erenziertes Netz an Einrichtungen entstanden.

Als eine der Ersten dokumentierte die Britin die unterschiedliche Wirkungsweise von Morphium. Von ihr stammt der Satz Constant pain needs constant control – dauerhafte Schmerzen brauchen eine dauerhafte Behandlung. Soll der Schmerz unter Kontrolle gehalten werden, ist ein Behandlungskonzept für den Basisschmerz ebenso erforderlich, wie eine Therapiestrategie für den kurzzeitigen und heftigen Durchbruchschmerz. So bedeutet Palliativmedizin heute vor allem Symptomkontrolle von Schmerzen, Luftnot und Angst, nicht nur, wenn die Symptome da sind. Entscheidend ist es, bereits im Zustand der relativen Beschwerdefreiheit unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten festzulegen, wie im Ernstfall z. B. bei Luftnot und bei Schmerz zu verfahren ist. Zur Linderung dieser Not gehört selbstverständlich eine psychosoziale und spirituelle Betreuung. Was bei Cicely Saunders noch in einer Hand war – Herberge und Medizin – nahm zunächst getrennte Wege. Das lag an den unterschiedlichen Akteuren.

Während die Hospizbewegung von engagierten Bürgern gefördert wurde, etablierte sich die Palliativmedizin rein ärztlich in den Kliniken. Aus Einzelinitiativen entwickelten sich in Deutschland erst ab Mitte der 1990er Jahre Institutionen im Hospiz- und Palliativbereich, wie Fachgesellschaften und Lehrstühle für Palliativmedizin. Die neue Disziplin fand Eingang in die Approbationsordnung, schließlich gab es eine eigenständige Zusatzweiterbildung Palliativmedizin und die Anerkennung durch die Krankenkassen. So ist in den vergangenen 25 Jahren mit 1.500 ambulanten Hospizdiensten, 179 stationären Hospizen und 231 Palliativstationen ein differenziertes Netz an Einrichtungen entstanden. Viel wurde also getan, um die Palliativversorgung in Deutschland zu etablieren, die inzwischen in (Allgemeine) ambulante Palliativversorgung (AAPV bzw. APV) und Spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) unterteilt wird – das wird Thema der nächsten Ausgabe sein.

Cicely Saunders


1918 geboren, studierte Cicely Mary Strode Saunders zunächst Philosophie und Wirtschaftswissenschaften in Oxford, bevor sie sich im Zweiten Weltkrieg zur Krankenschwester ausbilden ließ.

Nach dem Krieg arbeitete sie nachts als Sterbebegleiterin in Londoner Krankenhäusern und begann mit 33 Jahren das Medizinstudium. Als Ärztin widmete sich Saunders in den 50er Jahren vor allem der Schmerzforschung. Von katholischen Ordensschwestern hatte sie bereits während ihrer Zeit als Nachtschwester gelernt, dass schon vor dem Krieg Morphium zur Schmerzlinderung bei Krebskranken eingesetzt worden war.

Bei einem ihrer Dienste lernte sie den erst 40-jährigen todkranken polnisch-jüdischen Emigranten David Tasma kennen. Mit ihm, so erzählte sie stets, habe sie die Idee entworfen, ein Heim nur für Sterbende zu bauen. Tasma hinterließ ihr nach seinem Tod 500 Pfund sowie eine Prophezeiung: I will be a window in your home.

Weitere Verbesserungen geplant

Der Ärztetag hat sich im Juni 2011 für weitere strukturelle Verbesserungen in der Versorgung Schwerstkranker und Sterbender ausgesprochen – im Sinne einer vernetzten ärztlichen, pflegerischen, psychischen und seelsorgerischen Versorgung.

Sonja Laag

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