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Serie Palliativmedizin: Spezialisierte Ambulante Palliativmedizin (SAPV)

Nicht im freien Fall

Um Menschen mit nicht heilbaren und weit fortgeschrittenen Erkrankungen das Sterben in vertrauter Umgebung zu ermöglichen, wird in Deutschland seit rund vier Jahren die Spezialisierte Ambulante Palliativmedizin (SAPV) aufgebaut. Dort, wo inzwischen Verträge zwischen Palliative Care Teams und Krankenkassen existieren, können Hausärzte zur Unterstützung der Patientenbetreuung SAPV verordnen.
© Luiz – fotolia.com
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Mit dem Tod ist keine Erfahrung zu machen. Jeder von uns stirbt seinen eigenen. Über den Tod und das Nicht-Sein können wir nur aus der Sicht des Lebens sprechen, sagt der österreichische Philosoph Konrad Paul Liessmann. Doch wie gut können Sie das, wenn Sie Patienten und Angehörigen gegenüber stehen?

Wir können keine Erfahrungen mit dem Tod machen, wohl aber mit der Begleitung Sterbender. Seit April 2007 haben Krankenversicherte nach §37b SGB V einen Rechtsanspruch auf die neue Versorgungsform der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung. Diese kann der Arzt über das Musterformular 63 verordnen und dafür die EBM-Ziffern 01425 (Erstverordnung) und 01426 (Folgeverordnung) ansetzen.

Anforderungen an ein PCT-Team

Erbracht wird die SAPV von einem Palliative Care Team (PCT). Dieses Team besteht aus palliativmedizinisch weitergebildeten Ärzten und Pflegekräften. Um einen entsprechenden Versorgungsvertrag (§132d SGB V) mit den Krankenkassen abschließen zu können, muss ein PCT Mindestanforderungen erfüllen: Es muss sich zum Beispiel um eine eigenständige Organisationseinheit mit eigener Adresse, einem eigenen Büro mit EDV-Ausstattung sowie geeigneten Räumen für die Beratung von Patienten handeln. Die Räume müssen auch Platz bieten für die Lagerung von Medikamenten und Hilfsmitteln, die in Krisensituationen benötigt werden.

Um eine schnelle und reibungslose Versorgung zu garantieren, müssen die PCT 24 Stunden erreichbar sein und Kooperationsvereinbarungen mit einer örtlichen Apotheke, einem Sanitätshaus sowie Physiotherapeuten, Logopäden, Psychotherapeuten, Sozialarbeitern und Pflegediensten vorweisen. Die Einbeziehung der örtlichen Hospizinitiativen und eine unbürokratische Zusammenarbeit mit den Krankenkassen gehören selbstverständlich mit zum Versorgungsplan. Mit der Verordnung sollten die Kosten in der Regel ohne aufwändige Prüfverfahren übernommen werden können.

Kooperation und Koordination

Nur eine funktionierende Vernetzung aller Beteiligten ermöglicht es, einen sterbenden Menschen mit einer ausgeprägten Symptomatik bis zum Schluss in der vertrauten Umgebung zu halten. Das kann das eigene Zuhause sein, aber auch eine Pflegeeinrichtung oder ein Hospiz.

Überwiegend sind es Krebserkrankungen im Endstadium, die eine SAPV erforderlich machen. Aber auch bei Patienten mit Demenz, Schlaganfall, Parkinson, Herzinsuffizienz, Nieren- und Lungenerkrankungen, Multipler Sklerose, amyotropher Lateralsklerose sowie genetischen Erkrankungen kann diese Art der Versorgung angezeigt sein. In den Fachgremien wurde lange um eine Definition, den Anspruch und die Festlegung des Leistungsinhaltes der SAPV gerungen. So muss ein Mensch an einer nicht heilbaren, fortschreitenden und so weit fortgeschrittenen Erkrankung leiden, dass dadurch die Lebenserwartung begrenzt ist, hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) festgelegt. Zudem muss eine besonders aufwändige Versorgung erforderlich sein.

Es bleiben Fragen

Trotz der formulierten Bedingungen können sich für die Behandelnden schwierige Fragen ergeben: Ab wann ist eine Krankheit nicht mehr heilbar und wie lange dauert eine begrenzte Lebenserwartung? Stirbt nicht die Hoffnung zuletzt? Was an der Behandlung ist spezialisiert und was ist allgemein durch den Hausarzt und den normalen Pflegedienst zu erbringen? Ab wann spricht man von einem besonders hohen Aufwand?

Manchmal geht es nur um Stunden oder wenige Tage. Die meisten Patienten in der SAPV-Versorgung versterben innerhalb der ersten vier Wochen, selten sind es mehr als 50 Tage. Die PCT-Mitarbeiter verfügen über spezielle medizinische und pflegerische Kenntnisse bei der medikamentösen Schmerztherapie, der Notfallmedikation und im Umgang mit speziellen Hilfsmitteln.

Symptomkontrolle ist erstes Gebot

Die Symptomkontrolle ist oberstes Gebot: Basisschmerzen und Schmerzspitzen, sogenannte Durchbruchschmerzen, müssen genauso kontrolliert werden wie Magen-Darm-Symptome (etwa Übelkeit, Erbrechen oder Verstopfung). Auch Wunden, Atemnot und Angst sollen nicht zur Krankenhauseinweisung führen. Niemand soll den schweren und schnell wechselnden Symptomen hilflos gegenüber stehen, deshalb wird der Behandlungsplan im Voraus mit den Angehörigen und dem Hausarzt besprochen. Reden können, wo das Reden schwerfällt – das sollten alle Beteiligten beherrschen. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch die Wertvorstellungen, etwa bei der Ernährung. Künstliche Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr kann oft eher belastend als hilfreich sein.

Noch ist es nicht überall in Deutschland gelungen, SAPV-Verträge zu schließen. Wo es solche Verträge gibt, können Sie bei der zuständigen Krankenkasse erfragen. Auch das Neben- und Miteinander von Hausarzt und PCT am Patientenbett muss erlernt werden. SAPV-Leistungen werden als Beratung, Koordination, Teil- bzw. Vollversorgung erbracht. Für einen schnellen und reibungslosen Ablauf ist es extrem wichtig, dass der Informationsfluss zwischen Hausarztpraxis und PCT funktioniert wie z.B. bei der Befundübermittlung. Hier ist die MFA gefragt. Dazu müssen sich alle Beteiligten kennen, vertrauen und schätzen lernen.

Als MFA menschlich betroffen

Auch als MFA haben Sie mit schwerkranken Menschen zu tun: Patienten erhalten eine lebensbedrohliche Diagnose, sind im Krankenhaus, kommen zurück, erhalten vielleicht eine Chemotherapie, kommen wieder zur Blutkontrolle in die Praxis und gehen dann wieder ins Krankenhaus... Einen wichtigen Teil der Palliativausbildung nimmt die eigene Haltung zu Krankheit, Sterben, Tod und Trauer ein. Diese beschränkt sich nicht nur auf Fragen zur Sterbebegleitung und Patientenverfügung, sondern auch auf religiöse und spirituelle Einstellungen.

Der Umgang mit Angst spielt in der SAPV eine große Rolle, doch wie sieht es in Ihrem Arbeitsalltag aus? Wie begegnen Sie einem schwerstkranken Patienten, seinen Angehörigen und wie begegnen Sie sich selbst dabei? Gesprächsführung und medizinische Expertise lassen sich erlernen, doch wie ist Ihre Haltung zu diesen existenziellen Fragen des Lebens? Über den Tod und das Nicht-Sein können wir tatsächlich nur aus der Sicht des Lebens sprechen.

Lesetipp

Eine Frage der Haltung

Peter Noll
Siehst Du, hat Ruth gesagt, Du störst die Leute mit deinem Entschluss. Wenn einer Krebs hat, dann geht er ins Spital und lässt sich operieren, das ist normal. Wenn einer aber Krebs hat und fröhlich herumläuft wie du, dann wird es den Leuten unheimlich. Sie sind plötzlich gefordert, sich mit dem Sterben und Tod auseinanderzusetzen, und das wollen sie nicht. Das können sie auch nicht, solange sie nicht in deiner Situation sind. Wenn du ins Spital gingest, dann hätte alles seine Ordnung, dann könnte man dich besuchen, mit Blumen, und nach einer gewissen Zeit, dann ist er wieder drin und man könnte wieder kommen, mit Blumen, aber für immer kürzere Zeit. Doch man wüsste, wo er ist. Man wüsste, dass er nicht unter ein Auto gekommen ist, sondern Krebs hat und ins Spital geht, sich schneiden lässt, wie es sich gehört.

Peter Noll (1926 – 1982) einer der angesehensten Schweizer Juristen erkrankt im Alter von 56 Jahren an Blasenkrebs. Eine – möglicherweise lebensverlängernde – Operation lehnt er ab. Kurz vor seinem Tod schrieb er seine berühmt gewordenen „Diktate über Sterben und Tod“.

Webtipp

AOK und AQUA haben unter www.qisa.de Qualitätsindikatoren zur hausärztlichen Palliativversorgung für Arztnetze veröffentlicht.

Im Resthimmel?

Ob an Wiedergeburt, ewiges Leben oder Drei Engel für Charlie – heute darf jeder glauben, was er möchte, wenn es um ein mögliches Leben nach dem Tod geht. Die Gesellschaft besteht aus bunten Lebensformen und genauso ist es mit dem Jenseits. Alle Kulturen versuchen, dem Leben über den Tod hinaus eine Kontinuität zu geben. Doch der Rückgang der religiösen Bindungen führt nach Ansicht des Kulturwissenschaftlers Thomas Macho heute nur noch zu einem Resthimmel.

Auf der anderen Seite gibt es eine menschliche Sehnsucht nach Ewigkeit und Zuhause. Welcher Glaube kann sie stillen? In der Liebe wie im Glauben geht es nicht so sehr um eine einzige richtige Wahrheit, sondern darum, was dieses Gefühl in uns bewirkt, wozu es uns motiviert und was es im größeren Rahmen für das Zusammenleben mit anderen Menschen bedeutet. (Ulrich Schnabel, Die Vermessung des Glaubens).

Sonja Laag