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Palliativmedizin: Herausforderungen für morgen

Sich treu bleiben

Die Palliativmedizin wird in erster Linie mit onkologischen Erkrankungen in Verbindung gebracht, denn überwiegend sind es Krebspatienten, die in ihren letzten Lebenswochen im Rahmen der SAPV versorgt werden. Was aber ist mit Patienten, die über einen längeren Zeitraum schwer krank oder einfach nur sehr alt sind? Und wie kann die Medizin es schaffen, sich selbst treu zu bleiben?
© Dana S. Rothstein – fotolia.com
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Sie habe sich bewusst der Versorgung von Tumorpatienten gewidmet, sagte Cicely Saunders, die Begründerin der modernen Palliativmedizin und Hospizbewegung: Ich wusste, dass es mir nicht gelingt, die Misere in der Versorgung unserer alten Mitbürger aufzugreifen. Das Problem ist mir zu groß gewesen. Onkologische Erkrankungen sind in ihrem klinischen Verlauf am ehesten vorhersehbar und damit in einer Versorgungsstruktur abbildbar.

Rund 850.000 Menschen sterben nach offiziellen Statistiken jedes Jahr in Deutschland. Etwa zehn Prozent davon, so die Schätzung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, benötigen eine Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV), wenn der gesellschaftliche Anspruch an ein würdiges Sterben zuhause eingelöst werden soll.

Mit dem Alter nehmen vor allem die chronischen Erkrankungen zu, wie Herzinsuffizienz, COPD, Parkinson, Schlaganfall und Demenz oder auch einfach Schmerzen. Schon heute haben wir in Deutschland knapp 2,3 Millionen Pflegebedürftige, 2030 könnten es 3,4 Millionen sein.

Unnötige Einweisungen

Für viele Hausärzte und ambulante Pflegedienste ist die Unterstützung alter und schwer kranker Menschen selbstverständlich. Dennoch werden symptombelastete Patienten oft stationär eingewiesen, obwohl das nicht nötig wäre, gäbe es eine besser abgestimmte Versorgung über einen längeren Zeitraum. Schwerkranke Patienten und ihre Angehörigen benötigen Zeit und Know-how für die medizinische, pflegerische und psychosoziale Betreuung. Und es bedarf einer palliativmedizinischen Basisqualifikation der Behandelnden.

Wir befinden uns hier in einem unscharf abgegrenzten Raum zwischen der normalen Regelversorgung und der anspruchsvollen SAPV, die inzwischen Allgemeine Ambulante Palliativversorgung (AAPV) genannt wird. Im Mittelpunkt stehen auch hier die multidisziplinäre Zusammenarbeit, ein hörendes Herz und eine offene Kommunikation zwischen allen Beteiligten – die idealerweise immer den Hausarzt einschließt. Schwer kranke Patienten haben oft das Gefühl, der Praxis zur Last zu fallen. Wenn Sie als MFA diesen Menschen die Gewissheit geben, dass Sie ihre Betreuung als Ihre Aufgabe sehen, ist das von unschätzbarem Wert für sie.

Alter als Lernmodell

Das Alter sei ein Lernmodell für die Gesellschaft, sagt der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio. Denn das Älterwerden erinnert uns daran, dass nicht die Unabhängigkeit, sondern das Angewiesensein eine Grundeigenschaft ist, die wir auch nicht einfach abstreifen können. Palliativmedizin hilft Schwerkranken, die auf eine solche Hilfe angewiesen sind, unabhängig vom Alter. So gibt es zum Beispiel auch eine SAPV für Kinder. Die Palliativmedizin ist aber auch ein Lernmodell für die Gesundheitsberufe, die es nicht gewohnt sind, Hand in Hand zu arbeiten.

Wie auch immer wir das alles sehen: Die Palliativmedizin ermöglicht es Ärzten, Pflegekräften und anderen an der Versorgung Beteiligten, sich selbst treu zu bleiben. Treu in ihrem Anliegen, Schwerkranken und ihren Angehörigen beizustehen und sie nicht sich selbst in einem oft kalten Medizinbetrieb zu überlassen. Es gehört zu den vordringlichsten Aufgaben aller Gesundheitsberufe, die strukturellen Voraussetzungen und damit die Qualität der Palliativversorgung zu verbessern. Palliatives Denken beginnt im Herzen, es muss mit dem Kopf umgesetzt werden.

Sonja Laag