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Serie zum Thema Geriatrie: Basisassessment

Ein Händchen für alte Leute

Das Geriatrische Basisassessment (GBA) ist Grundlage für ein Versorgungsmanagement alter und multimorbider Menschen. Aus Zeitmangel, wegen des Aufwands und fehlendem Wissen wird es in Hausarztpraxen nach wie vor zu selten durchgeführt. Hausarzt Dr. Thomas Hermens und MFA Rebecca Lobitz aus Wesel stellen vor, wie das GBA sich in ihrer Praxis strukturell etablierte.
© Melpomene – fotolia.com
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Herr Hermens, Sie sind als Facharzt für Innere Medizin hausärztlich tätig und Vorsitzender der AG Ambulante Geriatrie der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie. Wie haben Sie mit dem Geriatrischen Basisassessment in der Praxis begonnen?

TH: Als es im EBM 2000 erstmals eine geriatrische Ziffer gab, habe ich losgelegt. Die Auswahl der Module war und ist auch heute nicht konkret vorgegeben, sodass ich überlegt habe, welche Tests hinsichtlich Durchführbarkeit und Aussagekraft am sinnvollsten sind.

Welche sind das für Sie?

TH: Erstens die Sozialanamnese nach Nikolaus, zweitens ADL und IADL für die

Erfassung der Aktivitäten des täglichen Lebens, drittens für die Motorik der Timeup-and-go-Test und schließlich viertens für die Kognition der TFDD-Test, weil der auch die Depression mit abfragt.

Woran sollte man sich bei der Auswahl der Testverfahren orientieren? Es gibt ja mehrere, die z.T. Ähnliches abfragen?

TH: Zunächst einmal sollten die Testverfahren einfach durchzuführen sein. Auch die Verständlichkeit für Arzt, Patient und die später dafür verantwortliche MFA sollte berücksichtigt werden; unter diesen Aspekten ist es dann gar nicht mehr so schwer, für die eigene Praxis geeignete Assessment-Instrumente zu finden.

Wann genau brauche ich den Barthel-Index, der so oft zu hören ist?

TH: Der Barthel-Index findet ja grundsätzlich seine Anwendung, wenn es um Funktionseinschränkungen bei den Verrichtungen des täglichen Lebens geht (u. a. Toilettengang). Auch beim Einschätzen des Rehapotenzials eines Patienten wird gerne darauf zurückgegriffen.

Wie beziehen Sie Ihre MFA ein?

TH: Zu Beginn habe ich alle Tests selbst durchgeführt. Mir wurde schnell klar, dass ich das doch lieber delegieren sollte.

Wieso?

TH: Die im Alltag ständig anfallende Arbeit eines Hausarztes ist ohne die tatkräftige Unterstützung der MFAs gar nicht mehr zu schaffen; die Kunst des Hausarztes besteht dann darin, bestimmte Dinge in der Praxis zu delegieren; allerdings sollte man dann schon schauen, dass man für diese Aufgabe die richtige Arzthelferin aussucht.

Wie sind Sie dann vorgegangen?

TH: Ich fragte die MFA, die meines Erachtens ein Händchen für die alten Leute haben.

Was genau ist dieses Händchen?

TH: Wie jeder Arzt hat jede MFA ihre herausragenden Eigenschaften: nicht jede MFA kann gleich liebevoll und einfühlsam mit den alten Menschen umgehen.

Und dann?

TH: Diese zwei MFA haben in einer befreundeten Einrichtung hospitiert, um mit den Assessments vertraut zu werden. In der Praxis haben wir die ersten Assessments zusammen gemacht, inzwischen läuft das problemlos ohne mich.

Neue Regelungen im Hausarzt-EBM

Das bisher gültige geriatrische Basisassessment wurde im neuen Hausarzt-EBM leicht modifiziert und in zwei Ziffern zur Abrechnung geteilt.

  • 03360: hausärztlich-geriatrisches Basisassessment
  • 03362: hausärztlich-geriatrischer Betreuungskomplex

Die 03360 können Sie nur bei Patienten abrechnen, die aufgrund ihres Krankheitsverlaufes eine geriatrische Versorgung benötigen.

© Dr. Thomas Hermens
© Dr. Thomas Hermens
Die Versorgung älterer Patienten braucht neben medizinischem Wissen auch Teamgeist – wie im Team von Hausarzt Dr. Thomas Hermens (Zweiter von rechts).

Frau Lobitz, was muss man denn als MFA beim Basisassessment beachten?

RL: Vor allem eine ruhige Atmosphäre ist wichtig. Sowohl Patient als auch Arzt / MFA müssen Zeit mitbringen und der Patient sollte einen Zeitpunkt des Tages wählen, wo er sich am fitesten fühlt.

Wie lange dauert ein GBA?

RL: Etwa 30 bis 45 Minuten. Durchgeführt wird das GBA meistens ohne Angehörige. Anschließend erhält Dr. Hermens die Auswertung und es wird ein neuer Besprechungstermin vereinbart.

Wie wichtig ist Erfahrung?

RL: Sehr wichtig. Manchmal ist es nicht so einfach zu erkennen, ob ein Patient auch wirklich alles das im Haushalt macht, was er erzählt oder ob es bewusste oder unbewusste Täuschungen sind.

Wann veranlassen Sie ein GBA?

TH: Da man als Hausarzt seine Patienten schon seit vielen Jahren kennt, merkt man, wann die Zeit gekommen ist, nach den Funktionsressourcen eines Patienten zu schauen. Wenn Gang, äußeres Erscheinungsbild oder Sozialverhalten plötzlich verändert wirken, sollte zum Beispiel ein geriatrisches Basisassessment durchgeführt werden. Oder beispielsweise auch, wenn sich Angehörige Sorgen machen, weil ein Elternteil körperlich und geistig abbaut.

Was folgt dann nach dem GBA?

RL: Manchen Angehörigen reicht die Besprechung der Befunde. Andere möchten von uns Anlaufstellen für häusliche Hilfen oder Selbsthilfegruppen wissen. In jedem Fall erörtern wir die vorhandenen Ressourcen und wie diese weiterhin genutzt werden können.

TH: Anfangs war ich in Sorge, dass die Angehörigen nach der Besprechung erst einmal ein ganzes Heilmittelpaket von mir aufgeschrieben haben wollten, weil ich doch sowieso immer über dem Durchschnitt meiner Vergleichsgruppe liege. Meistens waren diese Sorgen aber unbegründet.

Wird der neue Hausarzt-EBM zu mehr GBA führen?

TH: Ein GBA kann man nicht einfach aus dem Internet ziehen und dann mal eben durchführen. Ich finde es schade, dass der neue EBM die Durchführung nicht an eine erforderliche Qualifikation gebunden hat. Die Versorgung der älteren Patienten braucht neben dem speziellen Wissen auch den geriatrischen Teamgeist in einer Praxis. Bei uns griff nach und nach das Schneeballprinzip – die beiden ersten MFA führten die anderen MFA ins Assessment ein. Ohne es zu wissen, merke ich, wer das GBA gemacht hat und die kleinen Individualitäten sind interessant. Als Chef ist es sehr beruhigend zu wissen, dass sich alle MFA mit dem GBA auskennen. Mit wenig Aufwand, viel Herz und Knowhow lässt sich die Versorgung der alten Patienten eindeutig verbessern.

Das Interview führte Sonja Laag

Wichtige Screenings

Die verschiedenen geriatrischen Screenings sollen helfen, alterungsbedingte Veränderungen frühzeitig zu erfassen und auf mögliche Auswirkungen im Alltagsleben hin zu hinterfragen. Ziel ist es, dann möglichst frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen, mit denen das Voranschreiten von Einschränkungen verlangsamt werden kann. Folgende Screeningmethoden sind gebräuchlich:

  • Körperliche Selbstversorgungsfähigkeit: Barthel-Index
  • Mobilität: Timed-up-and-go-Test, Tinetti-Test, Tandemgang
  • Kognition: Mini mental status examination (MMSE), Dem Tect, TFDD
  • Sozialassessment: Soziale Situation nach Nikolaus