Serie Patiententypen, Teil 2
Nörgler und Choleriker
Serie Patiententypen
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Sicher kennen Sie Situationen wie diese aus Ihrem Praxisalltag zur Genüge: Noch keine zwei Minuten sitzt eine Patientin – nennen wir sie Frau M. – im Wartezimmer, da steht sie auch schon wieder am Empfang: Sie hatten doch gesagt, es würde schnell gehen heute Morgen, und jetzt warte ich schon wieder… Kein Wort, dass noch andere Patienten warten. Und Sie wissen: Selbst wenn das Wartezimmer leer ist und sie sofort ins Behandlungszimmer kommt, findet sie ein Haar in der Suppe. Schon ihre Körpersprache verrät Ungeduld – vor der Brust verschränkte Arme und hoch gezogene Augenbrauen, dazu das offensichtlich genervte Rollen der Augen.
Es ist schwer, mit Nörglern wie Frau M. umzugehen. Dadurch, dass sie alles pessimistisch sehen, ziehen sie Gesprächspartner fast automatisch mit in den emotionalen Keller. Selbst wenn sie gegangen sind, bleibt ein unangenehmes Gefühl zurück. Und ganz ähnlich ist das beim Umgang mit einem Choleriker, der wegen einer Nichtigkeit plötzlich in die Luft geht. Auch hier fühlt man sich als Gegenüber schnell mit den gleichen unangenehmen Gefühlen konfrontiert. Wer aus dieser Ecke raus will, hat nur eine Wahl: den Umgang mit Problempatienten üben.
Der Nörgler
© Marius Pawlitza
Nörgler wie Frau M. finden immer einen Grund zum Meckern – und sei es die Zuzahlung bei Arzneimitteln.
Im Fall von Frau M. ist es zunächst einmal wichtig, dass Sie Ihre gute Laune behalten. Das macht es Ihnen leichter, sie mit einer Charme-Offensive zu überraschen. Lassen Sie sich keinesfalls auf einen verbalen Schlagabtausch ein – auch wenn der Patient sich unangemessen verhält. Versuchen Sie seine Interessen zu erkunden und eine gemeinsame Lösung zu finden. Versuchen Sie dabei konsequent Sachebene und emotionale Ebene zu trennen. Holen Sie nach Möglichkeit also Ihren Gesprächspartner wieder auf die Sachebene zurück, wenn es ins Persönliche driftet.
Nörgler nutzen gerne Themen wie Wartezeiten oder Zuzahlungen, um zu quengeln. Argumente wie Mein Diabetologe hat mir das aber anders erklärt, sind schnell gesagt und entbehren meistens jeder Grundlage. Achten Sie aber unbedingt darauf, für Ihre eigene Argumentation nur belegbare Fakten zu verwenden. Mitunter hilft auch ein bisschen Smalltalk, um den Nörgler abzulenken. Bei praxisbekannten Fällen ist das einfacher, weil Sie die Interessen des Gegenübers kennen und das Gespräch gezielt auf dieses Thema lenken können – eine Strategie, die oft erfolgreich ist. Ansonsten behandeln Sie den nörgelnden Patienten zuvorkommend, ohne dafür irgendeine Anerkennung zu erwarten. Sie behalten so die Fäden in der Hand und laufen nicht Gefahr, dass sich der Patient anschließend noch beim Chef über Sie beschwert. Mitgefühl sorgt beim Gegenüber für eine emotionale Bestätigung und lindert damit sein Bedürfnis nach Anerkennung. In der Sache sollten Sie die Nörgeleien aber möglichst konsequent unterbrechen. Besteht tatsächlich ein gewisser Anlass zur Kritik, greifen Sie den Punkt auf: Es tut uns leid, dass es heute etwas länger dauert. Wir hatten einen Notfall und beim nächsten Mal sind Sie sicher wieder schnell an der Reihe. Oft hilft es auch, einen neuen Aspekt heraus zu picken: Möchten Sie lieber heute Nachmittag noch einmal kommen? Dann ist in der Praxis weniger los. Natürlich muss auch das nicht immer zum gewünschten Erfolg führen.
Der Choleriker
© Marius Pawlitza
Choleriker wie Herr W. haben keine Frusttoleranz. Auch bei Nichtigkeiten wie einer vergessenen Überweisung fühlen sie sich im Krieg.
Als Choleriker bezeichnet man Menschen, die über eine geringe Frustrationstoleranz und hohe Erregbarkeit verfügen. Nehmen wir als Beispiel Herrn W. Leute wie er neigen zu starken Aggressionen. Sie leben ihre Wut unkontrolliert aus und sind absolute Gefühlsmenschen – auch wenn sie das selbst nie so sehen würden. Sie verletzen, um auch beim Gegenüber Gefühle zu sehen. Besonders schwierig sind sie durch ihre Unberechenbarkeit.
Hinter ihren provozierenden Schimpfereien steckt selten eine reale Kritik, sondern vielmehr Unsicherheit oder andere emotionale Beweggründe. Wichtig ist deshalb an erster Stelle Ihre innere Einstellung. Der beste Tipp: Nehmen Sie nichts persönlich. Choleriker machen keinen Unterschied zwischen sachlicher und persönlicher Kritik, alles kommt in einen Topf. Lassen Sie alle persönlichen Vorwürfe beim Choleriker und machen Sie sich klar: Der Patient hat ein Problem, nicht Sie.
Auf der anderen Seite dürfen Sie das Thema auch nicht bagatellisieren. Ein Choleriker regt sich aus seiner Sicht völlig zu Recht auf. Bemerkungen wie Jetzt bleiben Sie mal cool signalisieren nur Ich nehme dich nicht ernst und machen alles noch schlimmer. Versuchen Sie auch nicht, im Augenblick des Gefühlsausbruchs sachlich zu argumentieren – verschieben Sie die inhaltliche Diskussion auf einen späteren Zeitpunkt.
Wichtig ist, Signale zu senden, die Friedfertigkeit demonstrieren. Der Choleriker fühlt sich ja nicht als Auslöser, sondern als Opfer. Es fehlt zwar bloß eine Überweisung, doch der Choleriker wähnt sich im Krieg. Psychologen nennen es die Urfunktion der Wut, einen Menschen in den Kampfmodus zu versetzen. Und im Kampf ist das Ohr taub für Argumente. Weil ein Choleriker beim Gegenüber ebenfalls Gefühle sehen will, ist die beste Strategie der souveräne Umgang mit Emotionen. Etwa Ihre Art empfinde ich als sehr verletzend. Wird man dagegen bei einer Auseinandersetzung mit einem Choleriker selbst laut, kann die Konfrontation eskalieren. Also besser abwarten und gelassen bleiben. Denn ein Choleriker ist innerhalb weniger Sekunden auf 100, aber genauso schnell ist der Zorn in der Regel auch wieder verraucht.
Dann ist die Gelegenheit günstig, zu einem sachlichen Austausch zurückzukehren. Hier gilt die Gerade weil-Methode als erfolgversprechend, weil Sie dem schwierigen Gesprächspartner das Gefühl vermittelt, dass Sie ihn und seine Einwände ernst nehmen. Angenommen der Patient möchte unbedingt den Arzt sprechen und hat kein Verständnis dafür, dass das an diesem Nachmittag nicht mehr möglich ist. Dann können Sie folgendermaßen argumentieren: Sicher wollen Sie Ihr Problem in Ruhe mit dem Doktor besprechen. Aber gerade weil heute Nachmittag noch viele Patienten warten, ist dazu morgen eine bessere Gelegenheit.
Kritik hinterfragen
Eine andere bewährte Technik ist es, die geäußerte Kritik zu hinterfragen: Worauf beziehen Sie sich jetzt genau? oder auch Wie könnte es Ihrer Meinung nach funktionieren? Wenn Sie einen unsachlichen Kommentar aufgreifen und auf die sachliche Ebene bringen, signalisieren Sie dem Choleriker Interesse und Verständnis – das, was er sich mehr als alles andere wünscht. Auf der anderen Seite bringen Sie ihn dazu, seinen Einwand noch einmal zu überdenken. Im Anschluss an Ausbrüche haben Choleriker in der Regel Schuldgefühle, denn sie wissen ganz genau, dass ihr Verhalten nicht in Ordnung ist.
Versuchen Sie bei schwierigen Patienten auch, Lösungen im Team zu finden. Wie denken Ihre Kolleginnen über Frau M. oder Herrn W.? Nicht jeder Patient, den Sie für schwierig halten, wirkt auch so auf andere. Tauschen Sie sich bei Patienten, die öfter in die Praxis kommen, unbedingt mit den Kolleginnen aus – so können Sie Ihre eigene Wahrnehmung relativieren und sich gleichzeitig besser auf die Situation vorbereiten.