Das Magazin für Medizinische Fachangestellte

Wenn Patienten Grenzen überschreiten

Klare Zeichen für Distanz

Manche Patienten haben kein Gespür für Nähe und Distanz – oder sie ignorieren es einfach. Sie rücken Ihnen buchstäblich auf die Pelle. Lesen Sie, wie Sie im Praxisalltag angemessen reagieren, wie Sie Situationen deeskalieren können und wann Sie sich Hilfe holen sollten.
© DDRockstar - fotolia.com
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Als MFA kennen Sie sicher die Situation, dass ein Patient Ihnen "auf die Pelle rückt". Sei es in Form einer zweideutigen Bemerkung ("Sie sehen aber heute wieder knackig aus!") oder indem er Ihnen tatsächlich räumlich zu nahe kommt. Doch was ist zu nahe? Zehn Zentimeter, ein Meter, drei Meter? In der Psychologie werden hier vier Abstandszonen unterschieden:

  • In der öffentlichen Zone wahren wir mehr als 3 m Abstand von unserem Gegenüber.
  • In der gesellschaftlichen Zone können wir Menschen bis ca. 1,20 m Abstand nahe kommen. Das ist auch der Abstand, mit dem wir einem Patienten hinter der Rezeption begegnen.
  • Die persönliche Zone zwischen 1,20 und 0,46 m beschreibt die private Distanz, etwa für Gespräche im vertrauten Rahmen unter Kolleginnen.
  • Alles darunter ist ein Eindringen in unsere Intimzone. Das erlauben wir dem Liebespartner, den Kindern und vielleicht der besten Freundin. Einzige Ausnahme sind Arzt und Praxisteam bei einer Behandlung.

Doch manche Patienten verletzen diese gesellschaftlich akzeptierten Distanzzonen. Etwa, indem sie dem Gesprächspartner am Arm berühren oder sich direkt vor ihm aufbauen. Eine solch ungewollte Nähe empfinden wir als höchst unangenehm. Eine klassische Situation an der Rezeption: Ein Patient möchte nicht im Wartezimmer Platz nehmen, sondern bleibt an der Rezeption stehen, verwickelt Sie in ein endloses Gespräch oder folgt Ihnen sogar, etwa auf dem Weg ins Labor.

Ein solches Verhalten kann keinesfalls toleriert werden. Doch wie reagiert man am besten? Sie sollten sich einerseits nicht von der Unruhe oder Aggression anstecken lassen, andererseits aber auch keinesfalls Situationen tolerieren, die Sie als unangenehm empfinden. Nutzen Sie die Körpersprache. Berührt ein Patient Sie, können Sie ihn freundlich aber bestimmt auf einen größeren Abstand schieben. Geben Sie ihm klar zu verstehen, dass Sie keine körperliche Berührung wünschen: "Herr Müller, ich möchte nicht, dass Sie mich anfassen. Danke für Ihr Verständnis." Danach führen Sie das Gespräch professionell und unaufgeregt weiter.

Erfolgsfaktor Körpersprache

Unterstreichen Sie den Inhalt Ihrer Worte durch eine eindeutige Körpersprache. Eine energische Stimmlage zeigt dem Gegenüber, dass es Ihnen mit Ihren Aussagen ernst ist und Blickkontakt zeigt ihm Ihr Interesse. Da Sie tatsächlich etwas mit dem Patienten oder der Patientin klären möchten, konzentrieren Sie sich auf diese kurze Gesprächszeit und erledigen keine anderen Aufgaben nebenbei. Das könnte Desinteresse signalisieren und macht die Situation möglicherweise noch komplizierter.

Wenn ein Patient die gebotene Distanz vermissen lässt, sollten Sie versuchen herauszufinden, ob er tatsächlich dreist und aufdringlich ist, oder ob das Verhalten andere Gründe hat. Menschen im Vollbesitz ihrer emotionalen und geistigen Fähigkeiten haben sich an Regeln zu halten, auch in der Praxis. Patienten aus anderen Kulturkreisen haben aber oft falsche Erwartungen an die Praxis, die korrigiert werden können (mehr dazu in Ausgabe 5/2013). Und bei manchen Patienten gehört die fehlende Distanz zu einem Krankheitsbild.

Psychische Erkrankungen

Patienten mit psychischer Erkrankung sind oft in besonderer Weise schutzbedürftig. Regelverstöße durch Kinder tolerieren wir meistens in einem weit größeren Ausmaß, als wir es bei Erwachsenen jemals tun würden. Psychisch Kranke befinden sich aber mitunter in einem Zustand, der emotional dem von Kindern ähnelt. Dann müssen Sie sie womöglich – statt sie in die Schranken zu verweisen – aus der Öffentlichkeit in eine geschützte Umgebung (etwa ein Behandlungszimmer) bringen, um die Situation zu entschärfen.

Wichtig im Umgang mit solchen Patienten ist empathische Souveränität – auch wenn das mitunter schwer fällt. Detaildiskussionen sind dann oft nicht sinnvoll, denn das Erleben des Betroffenen kann für andere schwer nachvollziehbar sein. Das Dagegenreden steigert die Not des Patienten noch weiter, weil er sich jetzt auch von Ihnen nicht verstanden fühlt, was ungute Gefühle wie Angst und Einsamkeit noch verstärkt.

Strategien zur Deeskalation

Obwohl nicht jede aggressive Situation durch Deeskalationsstrategien bewältigt werden kann, sind sie in bestimmten Situationen ausgesprochen hilfreich. In einer angespannten Situation ist es absolut unwichtig, wer Recht hat und wer nicht. Ihr Ziel sollte es sein, die Situation und nicht den Patienten zu beherrschen. Versuchen Sie, ihm Entscheidungsmöglichkeiten zu lassen, dadurch kann er sein Selbstwertgefühl wieder herstellen und fühlt sich weniger ausgeliefert. Manchmal kann das Anbieten verschiedener Lösungen die Situation entschärfen, weil er dann das Gefühl hat, die Geschehnisse noch selbst beeinflussen zu können.

Während diese Grundregeln für den Kontakt mit allen Patienten gelten, gibt es bei speziellen Patientengruppen noch einige Besonderheiten, die es zu beachten gilt. Viele Tipps für die Kommunikation mit älteren Patienten, aber auch mit Nörglern, Cholerikern und Besserwissern finden Sie in unserer Serie Patiententypen (Ausgaben 1–3/2015). Eskaliert aggressives Verhalten bei einem Patienten – was von der Unhöflichkeit über Beleidigungen bis zu Tätlichkeiten führen kann – sollten Sie sich unbedingt die Unterstützung der Praxisleitung holen.

RM

Stalking

© frank peters - fotolia.com
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Eine besonders extreme Form der Belästigung ist das Stalking – ein Straftatbestand (§ 238 Strafgesetzbuch). Stalker spionieren andere Menschen aus, verfolgen, belästigen und bedrohen sie. Ihr Verhalten löst beim Opfer oft chronischen Stress aus, bis hin zu Angstreaktionen, psycho-somatischen Beschwerden und sogar psychiatrischen Erkrankungen.

Im medizinischen Umfeld behelligen Stalker ihre Opfer meistens wegen eines tatsächlich oder vermeintlich erlittenen Unrechts.

Wichtige Verhaltensregeln zum Schutz des Opfers

Bei jedem Stalkingfall sollte das Risiko einer gewaltsamen Eskalation einkalkuliert werden. Die Raten für gewalttätiges Verhalten variieren je nach Umfeld von 2–55 Prozent. Zu den wichtigsten Schutzmaßnahmen gehören:

  • Unmissverständliche Erklärung, dass kein Kontakt gewünscht wird und ignorieren von weiteren Kontaktangeboten
  • Freunde, Nachbarn und Kollegen informieren, um Öffentlichkeit herzustellen
  • Geschenke etc. nicht zurückschicken, sondern als Beweismittel aufbewahren
  • Früh die Polizei einschalten und rechtliche Beratung einholen

Da Stalking ein Straftatbestand ist, sollte man SMS und E-Mails nicht löschen (Beweise!) und in einem Stalkingtagebuch Vorkommnisse dokumentieren.